Nachgeforscht bei Benjamin Missbach von „Reden Sie mit!“
In unserer Reihe Nachgeforscht schnuppern wir mit euch in die Citizen-Science-Projekte auf unserer Plattform rein. Regelmäßig stellen wir eine Projektinitiatorin oder einen Projektinitiator vor und sprechen über ihre oder seine Idee, wie sie Wirklichkeit wurde und worauf es beim Mitforschen ankommt. Diesmal mit Benjamin Missbach von Reden Sie mit!.
Wo sind Sie zum ersten Mal mit Citizen Science in Berührung gekommen und was hat Sie bewegt, dabei zu bleiben?
Als 11-jähriger habe ich für den Bund Naturschutz Frösche und Kröten gesammelt, gezählt, in Eimer gepackt und über die Straße gebracht. Ich denke das ist auch eine Form von Citizen Science um straßenbauliche Maßnahmen für den Schutz von Amphibien zu verbessern – ähnlich dem Roadkill Projekt von meinen lieben Kollegen Daniel & Florian von Österreich forscht.
Wie kam Ihnen die Idee zu Ihrem Projekt? Und warum wollen Sie Bürgerbeteiligung?
Jeder von uns hat im Laufe seines Lebens irgendwann mal eine Unfallverletzung, entweder beim Sport, vielleicht bei der Arbeit oder einen Verkehrsunfall. Das bedeutet, dass jeder von uns Erfahrung gesammelt hat, die wertvoll für die Forschung ist. Wie versorge ich eine Schnittwunde am besten? Was mache ich wenn ich beim Basketball umknicke? Wir alle sind mit diesen Fragen konfrontiert. Wir – unser Forschungsteam von der Ludwig Boltzmann Gesellschaft – sind überzeugt, dass es da draußen extrem innovative Fragestellungen gibt, die wir gerne in die Forschung bringen wollen. Deshalb öffnen wir unsere Forschung ganz bewusst und ganz systematisch und sagen „Reden Sie mit!“: Ihr Wissen ist wertvoll.
Worum geht es in Ihrem Projekt?
Wir wollen BürgerInnen in die Forschung einbinden. Wir wissen, dass es die praktische Erfahrung zur Diagnose, Behandlung und Rehabilitation von Unfallverletzungen oft nicht in die Forschung schafft. Nehmen wir das Beispiel von Ergotherapeuten, die jahrelange Erfahrung an der Arbeit mit PatientInnen haben und eine Menge Wissen generieren. Dieses Wissen kommt leider nur selten in die Forschung. Wir geben diesen Menschen aber auch PatientInnen ein Sprachrohr, um den Anstoß für Forschung zu geben.
Womit ringen Sie in Ihrem Arbeitsalltag am meisten?
Gute Frage – vielleicht den Überblick über alle unsere Supporter zu bewahren? Unsere Kampagne ist international angelegt, wir bekommen Einreichungen aus Pakistan, Australien, Kanada und sind sehr aktiv in verschiedenen Ländern. Wir sprechen mit extrem vielen Leuten, da braucht es ein koordiniertes Projektmanagement. Unser Team ist hier aber sehr gut aufgestellt.
Mal ehrlich: Gab es auch Fehlversuche oder Enttäuschungen? Was würden Sie beim nächsten Mal anders machen?
Wichtig ist, Fehler in Learnings umzuwandeln und die nächsten Projekte dementsprechend anzupassen. Wir haben unsere Website 6 Monate vor Launch des Projekts online gestellt, das hätte ruhig ein wenig früher sein können. Es ist immer wichtig etwas herzeigen zu können, damit können die Leute dann gleich etwas anfangen. Konkrete Enttäuschungen haben wir bisher noch nicht erlebt, im Gegenteil: wir bekommen sehr oft das Feedback: „Wir haben extrem viel zu sagen, nur bisher wurden wir nicht gefragt! Endlich kommt einmal jemand“.
„Die Neugier steht immer an erster Stelle eines Problems, das gelöst werden will“, weiß Galileo Galilei. Und darüber hinaus? – Was sind die 3 wichtigsten Eigenschaften, um bei dem Projekt mitzumachen?
Man sollte bereit sein, sein Wissen zu teilen. Keeper, die ihr Wissen nicht gerne teilen werden keine Freude mit unserem Projekt haben. Eine gute Beobachtungsgabe und Kreativität braucht man auf jeden Fall auch, damit man überhaupt eine Frage formulieren kann.
Gummistiefel und Fernglas, Toolkit oder App – wie technisch versiert sollten Ihre Mitforscher sein?
Alles was man braucht ist einen PC, Tablet oder Smarphone und 10 Minuten Zeit. Keine Gummistiefel notwendig und keine fancy App. Einfach auf www.tell-us.online gehen, registrieren, loslegen.
Was kann man in Ihrem Projekt dazulernen?
Uns ist wichtig, dass wir TeilnehmerInnen für das Thema sensibilisieren und darauf aufmerksam machen, dass Forschung in der Medizin nicht an BürgerInnen vorbeigehen soll, sondern im Gegenteil gemeinsam gestaltet werden kann. Wir haben gelernt, dass Leute die selbst betroffen sind, oft die besten Fragen stellen können. Wir gehen davon aus, jede Menge tolle und innovative Fragestellungen zu bekommen – in den ersten zwei Wochen haben wir bereits über 100 TeilnehmerInnen. Das ist wirklich super und soll so weitergehen.
Ihr schönster Citizen-Scientist-Moment – wie war der? Was war der größte Erfolg der gemeinsamen Forschung?
Zum Start von „Reden Sie mit!“ haben wir eine Mail eines Unfallchirurgen aus Pakistan bekommen. Er hat selbst mitgemacht und eine Forschungsfrage eingereicht. Wir haben 2-3 mal hin und her geschrieben und über die Bedeutung des Projekts diskutiert und welchen Stellenwert „Reden Sie mit!“ für die Forschung zu Unfallverletzungen haben kann. Für mich sind solche Momente großartig, weil man das Gefühl hat, einen sehr demokratischen Prozess aufgesetzt zu haben, der über die Ländergrenzen hinaus funktioniert.
Wo kann man Ergebnisse Ihres Projektes sehen?
Bis 3. Juli werden wir online sein, danach kategorisieren wir die eingereichten Forschungsfragen. Ziel ist, bis Ende des Jahres eine OpenKnowledge Map aufzusetzen, auf die jeder zugreifen und sich Inspiration holen kann. Gleichzeitig werden wir ganz spezifisch Forschungsfragen aufgreifen und mit Forschungsgruppen installieren, die konkret Fragestellung in interdisziplinären Teams beantworten soll.