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Preisträger Christopher Kyba: „Die Lichtverschmutzung als globales Problem besteht eben aus vielen kleinen“

Dr. Christopher Kyba erhielt 2023, stellvertretend für sein Team, den Wissen der Vielen – Forschungspreis für Citizen Science (1. Platz) für die Publikation „Citizen scientists report global rapid reductions in the visibility of stars from 2011 to 2022“. Wir sprechen mit ihm über seine anfängliche Skepsis gegenüber Citizen Science, die prämierten Ergebnisse und Wissenschaftskommunikation. 

Was begeistert dich am wissenschaftlichen Arbeiten und was sind deine Forschungsinteressen? 

Chris Kyba: An der Wissenschaft reizt mich besonders, dass ich mir eine bestimmte Frage stelle, zu der die Antwort noch nicht existiert. Ich muss mich dann selbst um die Erforschung kümmern. Außerdem mag ich es, mit vielen Leuten zusammenzuarbeiten. Mein inhaltliches Interesse als Physiker ist die künstliche Beleuchtung im Außenbereich, was sehr eng mit dem Thema Lichtverschmutzung verbunden ist. Diese ist relevant für verschiedene gesellschaftliche Bereiche wie den Energieverbrauch oder die Gesundheit von Mensch und Tier.

Seit wann bist du im Bereich Citizen Science aktiv?

Chris Kyba: Seit etwa 2011 oder 2012. Ich habe vom Projekt „Globe at Night" aus den USA gehört und mich zunächst gewundert. Bürger*innen, die mit bloßen Augen Lichtverschmutzung bewerten? Da war ich skeptisch. Bei einer Tagung habe ich dann erst die Projektleiterin Conny Walker kennengelernt. Kurz darauf meldete sich zufällig eine Erasmus-Studentin bei mir, die eine Karte über die Himmelshelligkeit einer Stadt in Polen machen wollte. Das war der Anlass für mich zum ersten Mal in den Datensatz des Citizen-Science-Projekts zu schauen, um Testdaten zu bekommen. Ich war überrascht herauszufinden, wie stabil und nützlich die einzelnen Daten zusammengenommen waren. Eine einzelne menschliche Beobachtung hat fast keinen wissenschaftlichen Wert und es gibt viele mögliche Fehlerquellen, aber durch die Menge von Beobachtungen wird der Datensatz so wertvoll. Außerdem haben Satelliten gewisse Schwachstellen und können nicht das Gleiche wie das menschliche Augen erfassen.

Es sind auch eben diese Daten, die du für deine prämierte Publikation verwendet hast. Wie funktioniert das Projekt genau?

Chris Kyba: Die Citizen Scientists geben auf der Website von „Globe at Night“ Standort und Uhrzeit für die Beobachtung eines bestimmten Sternbildes an. Im nächsten Schritt sehen sie acht verschiedene Karten. Diese zeigen Sternbilder mit unterschiedlichen Graden an Lichtverschmutzung, die man damit abgleicht, was man am Nachthimmel sieht. Anschließend wählen die Nutzer*innen eine Option aus. Man kann Kommentare hinzufügen und die Daten abschicken. 

Was ist dann bis zu deiner Veröffentlichung der Arbeit alles passiert?

Chris Kyba: Für mein Vorhaben, den Datensatz von „Globe at Night“ zu analysieren, habe ich mehrmals erfolglos versucht, eine Promotionsstelle zu kriegen. Das große Problem über viele Jahre war nämlich die Förderung. Wirklich toll war es, dass ich den Helmholtz ERC Recognition Award erhielt, sodass ich mit der Forschung starten konnte. Damals haben wir allerdings viel Kommunikationsarbeit gemacht und versucht, mehr Beteiligung im Projekt zu erzeugen. 

Generell handelt es sich um offene Daten, die theoretisch jede*r herunterladen kann. Sie sind aber nicht leicht zu nutzen, denn weder die Orte noch die Zeiten der Beobachtungen durch Citizen Scientists sind konstant. Wir wollten mit den Daten von 2011 bis 2022 arbeiten und die Entwicklung der Himmelshelligkeit über die Jahre erforschen. Anders als beispielsweise bei einem fest installierten Thermometer oder einer Wetterstation, ist ein Vergleich bei unregelmäßig erhobenen Daten schwer. Außerdem mussten wir für die Forschungsarbeit überhaupt einen Ansatz finden, die beobachtete Sternenanzahl in die Helligkeit des Nachthimmels zu übersetzen. 

Wie hast du diese Herausforderungen lösen können? 

Chris Kyba: Es hat Jahre gedauert, zu einer akzeptablen Lösung zu kommen. Im prämierten Paper präsentieren wir ein Veränderungsmodell, das auf einer mit Satellitendaten erstellten Karte für die Himmelshelligkeit von 2014 beruht. Anstatt die einzelnen Zeitreihen für die einzelnen Orte zu machen, haben wir geschaut, welche Orte ähnlich beleuchtet sind. Sagen wir beispielsweise Paris und New York erzeugten die gleiche Himmelshelligkeit. Wenn in einem Jahr jemand in Paris gemessen hat und in einem Jahr jemand in New York, dann haben wir eine Zeitreihe für Orte, die auf diese Weise beleuchtet sind, und können eine Entwicklung messen. In das statistische Modell für die Vorhersage, haben wir außerdem integriert, dass die Teilnehmenden Fehler machen oder für unsere Forschungsfrage weniger nützliche Daten erzeugen, wenn sie z.B. in kurzer Zeit sehr viele Beobachtungen vom gleichen Standort aus senden. 

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse der prämierten Forschungsarbeit?

Chris Kyba: Wir haben festgestellt, dass die Citizen Scientists über den Erhebungszeitraum hinweg andere Karten bei ihren Beobachtungen auswählen – solche mit stärkerer Lichtverschmutzung. Die Veränderung passiert ziemlich schnell; viel schneller als wir durch die Auswertung von Satellitendaten annehmen konnten. Diese widersprechen zwar nicht den Daten der Citizen Scientists, aber es war trotzdem eine Überraschung. Die weltweite Lichtverschmutzung nimmt jährlich um sieben bis zehn Prozent zu.

Unsere Preis-Jury würdigte neben fachlichen Aspekten, dass du deine Ergebnisse auch in die Breite trägst und somit das Bewusstsein in der Gesellschaft förderst. Welche Formate der Wissenschaftskommunikation nutzt du? 

Chris Kyba: Ich war immer ein Kommunikationstyp. Ich mag es gerne, mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Ich rede sehr gerne mit Journalist*innen über Lichtverschmutzung und meine Arbeit. Es ist toll, jemanden, der noch nie über das Thema nachgedacht hat, quasi in Richtung Expertise zu bringen. Außerdem bin ich in den Sozialen Medien auf Mastodon aktiv. Auch mit einer kleinen Gruppe von Studierenden zu sprechen, die über die Physik des Lichts lernen wollen, macht Spaß. In der Vergangenheit habe ich Schulbesuche gemacht, einen eigenen Blog bespielt und viel an Science-Slams teilgenommen. Zusätzlich bekomme ich hin und wieder einfache E-Mails mit Fragen von Bürger*innen oder von Expert*innen aus anderen Fächern. Wenn es um besonders komplexe Fragen geht, dann lade ich manchmal zum Online-Treffen ein, teile meinen Bildschirm und erkläre meine Forschung.

Letztens hat sich eine Nachbarschaftsgruppe gemeldet, die einen Streit mit ihrem Vermieter wegen der Beleuchtung hatte. Ich habe vor Ort kleine Untersuchungen gemacht. Inzwischen habe ich die Nachricht bekommen, dass beide Parteien gemeinsam eine Lösung gefunden haben. Die Meinung eines Fachmanns hat wohl einen Unterschied gemacht. Das ist toll, denn die Lichtverschmutzung als globales Problem besteht eben aus vielen kleinen. Das ist eigentlich das, was ich mir wünsche für die Gesellschaft, dass wir gemeinsam Lösungen finden. Im Nachbarschaftsfall wird nun die Umwelt verbessert, weniger Energie verbraucht und alle sind zufrieden. 

Was könnten deiner Erfahrung nach, Anreize für Wissenschaftler*innen sein, partizipative Methoden zu nutzen?

Chris Kyba: Ich glaube, es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder man kommt – wie ich – mit einer gewissen Skepsis mit dem Thema in Kontakt. Dann muss der Anreiz über das bessere Verständnis des Ansatzes und die Datenqualität laufen. Wissenschaftler*innen müssen sehen, dass die Bürgerwissenschaft gute Ergebnisse liefert, wenn das Projekt richtig konzipiert ist. Zudem gibt es Fragestellungen, für deren Beantwortung Citizen Science der einzige Weg ist. Die andere Möglichkeit ist, über Citizen-Science-Anreize Förderung zu schaffen. Gäbe es mehr Finanzierung, würden sich auch mehr Wissenschaftler*innen in dieser Richtung arbeiten. 

Mein persönlicher Wunsch wäre es, dass mehr Forschung ermöglicht wird, bei denen Bürger*innen stärker die Fragen vorgeben, sodass Ergebnisse im Alltag angewendet werden können. Mein Lieblingsprojekt ist Nappy Science Gang aus der Großbritannien. Citizen Scientists haben untersucht, wie man am besten eine Stoffwindel waschen sollte. Wenn wir an die Transformation für die Gesellschaft denken, dann ist der Bedarf nach anwendungsorientierter Wissenschaft sehr groß, aber leider wenig gefördert.

Wofür setzt du die Preisgelder des Wissen der Vielen-Preises ein? Worauf freust du dich dabei besonders?

Chris Kyba: Ich möchte weiter mit dem Datensatz forschen und habe bereits in drei Richtungen gedacht. Erstens, enthält der Datensatz die genaue Uhrzeit der Beobachtungen, aber wir haben diese bislang nicht nutzen können. Die Himmelshelligkeit ändert sich natürlich während der Nacht, aber überall auf der Welt anders. Ich habe jetzt eine Idee, wie wir es in die Analyse einbringen können. Zweitens, wurden ja seit 2022 weitere Daten erhoben, die wir noch nicht verarbeitet haben. Wahrscheinlich haben auch Kriege und Energiekrise Auswirkungen auf die Lichtverschmutzung. Drittens, möchten wir die Ergebnisse von speziellen Messgeräten nutzen. Wir werden dann einen Vergleich haben von den Erhebungen durch die subjektive Sicht eines Menschen und den Beobachtungen von einem Gerät – auch durch Citizen Scientists bedient. Das wird dann natürlich sehr spannend!

Leonie Malchow

Leonie ist über die Welt der Engagement- und Demokratieförderung bei der Citizen Science gelandet. Im Team ist sie für Projektmanagement und Kommunikation zuständig.