Fragen für die Zukunft der Citizen Science: „Science Slammer belächelt heute keiner mehr“
Als Verkehrsingenieurin und Landschaftsplanerin interessiert Prof. Dr.-Ing. Christine Ahrend besonders, wie Partizipation helfen kann, Wissen aus der Forschung für die Lösung gesellschaftlicher Probleme einzusetzen: Sie ist Professorin an der TU Berlin und Vorstandvorsitzende der Gesellschaft für Transdisziplinäre und Partizipative Forschung sowie im Steering Committe der Berlin University Alliance. In diesem Interview erklärt sie, wie sich Reputation und Anerkennungskultur in der Wissenschaft verändern, welche Schritte noch nötig sind, um Citizen Science weiter zu etablieren und was für eine Rolle dabei der Begriff der Exzellenz spielt.
Sie befassen sich bereits seit vielen Jahren mit den Themen Partizipation in der Wissenschaft und Wissenstransfer. Wir feiern momentan das zehnjährige Bestehen unserer Citizen-Science-Plattform. Wie hat sich, Ihrer Meinung nach, das Verständnis von Wissenschaft in diesem Zeitraum gewandelt?
Ahrend: Fangen wir mal bei den Wissenschaftler*innen an: Sie treten mehr in Kommunikation mit der Öffentlichkeit. Ich beobachte, dass sie häufiger öffentlich agieren – im Fernsehen oder auf Veranstaltungen. Sie werden auch häufiger in Beiräten herangezogen. Die Wissenschaft ist präsenter geworden, viele berufen sich in öffentlichen Diskussionen auf sie, im Guten wie im Schlechten. Auch Menschen, die nicht so wissenschaftsnah sind, nehmen Inhalte aus der Forschung wahr. Sprachlich hat sich ebenfalls etwas getan. Ich habe besonders in der Pandemie beobachtet, wie viele Kolleg*innen sich wirklich Mühe gaben, ihre Informationen für ihr Auditorium aufzubereiten: klar zu machen, was gesichertes Wissen ist und wo die Forschenden sich noch nicht einig sind. In dieser Zeit verstärkte sich auch die entsprechende Gegenbewegung und Angriffe auf Wissenschaftler*innen nahmen zu. Insgesamt ist aber das Vertrauen in die Wissenschaft gestiegen, wie etwa die Wissenschaftsbarometer-Befragungen zeigen.
Hat sich das Verständnis von Seiten der Bürger*innen auch verändert?
Ahrend: Ja, es ist bei den Bürger*innen angekommen, dass man sich am Wissensgewinn beteiligen kann. Das kann bei der Datensammlung oder der Auswertung sein, nur kurzfristig oder über eine längere Zeit laufen. Diese Erkenntnis, dass jede*r dort, wo er oder sie interessiert ist, auch Wissen beitragen kann, ist eine wichtige Basis für jede Form der Partizipation in der Wissenschaft. In meinem Umfeld beobachte ich, dass ich nicht mehr erklären muss, was Partizipation ist. Die Wissenschaft ist auch nicht mehr so eine Black Box und dazu hat Citizen Science erheblich beigetragen, da bin ich mir sehr sicher.
Was für einen Effekt hat denn diese Annäherung von Wissenschaft und Gesellschaft ganz praktisch? Wie schlagen sich diese Veränderungen im Forschungsalltag nieder?
Ahrend: Es ist sicher nicht mehr so schick wie es vor vielen, vielen Jahren war, auf eine Art zu sprechen, die niemand versteht. Durch neue Disseminationsverfahren, die es in der Forschung heute gibt, müssen Forschende auf Social Media oder in anderen Bereichen kommunizieren, in denen nicht nur Fachsprache gesprochen wird. Diese Fähigkeit wird mittlerweile geschätzt und erwartet. Science Slammer belächelt heute keiner mehr.
Letztlich wird es immer relevanter, Ergebnisse aus der Programmforschung mit gesellschaftlichen Akteur*innen zu diskutieren. Das wird noch zu wenig gemacht. Da brauchen wir mehr Kapazitäten in den Forschungseinrichtungen und neue Formate statt noch einen Leitfaden oder eine weitere wissenschaftliche Tagung.
Die Methoden zu forschen sind vielfältiger geworden. Wie steht es um die Beurteilung und Anerkennung von Leistungen im Wissenschaftssystem?
Ahrend: Das Feld der partizipativen Forschung durfte in den letzten zehn Jahren wachsen und gedeihen – und ich hoffe sehr, es darf noch weiterwachsen. Was das wissenschaftliche Reputationssystem angeht, sind wir ein Stückchen weitergekommen. Wie gesagt, es gibt Anerkennung für Wissenschaftskommunikation und Förderung für partizipative Forschung. Doch sind partizipatorisches und transdisziplinäres Forschen bisher nicht karriereförderlich. Einige Universitäten und Hochschulen haben diese Themen schon aufgenommen und entsprechende Lehrstühle/Fachgebiete eingerichtet. Stärken können wir die Anerkennung, indem Wissens- und Technologietransfer im Wissenschaftssystem stärker gewürdigt werden. Wenn Wissen anschlussfähig gestaltet wird, etwa in einer Broschüre an NGOs, dann ist dies kein high-ranking Journal, auch wenn sie genauso viele Korrekturschleifen durchläuft! Dabei ist auch verständlich, dass Wissenschaftler*innen in der Grundlagenforschung Sorge haben, dass sie in ein Anwendungsfeld rutschen und vermeintlich nur noch Prozesse optimieren, statt grundlagenwissenschaftlich zu arbeiten. Wir dürfen und müssen beides können.
Haben Sie Vorschläge für konkrete Maßnahmen, die diesen Spagat ermöglichen?
Ahrend: Zum einen müssen für die partizipativen Aufgaben mehr qualifizierte Personen ausgebildet und eingesetzt werden. Daher sollte diese Art des kollaborative Arbeitens auch in den Universitäten als Qualifikationsbereich zur Verfügung stehen. Außerdem brauchen wir mehr Gutachter*innen in Gremien der Förderprogramme, die tatsächlich Partizipation in der Wissenschaft als Schwerpunkt haben. Zusätzlich muss es eine Offenheit für Qualitätskriterien geben, die über klassische „exzellente Forschung“ hinausgehen. Letztlich steht auch eine Transformation der Wissenschaft an – und partizipative Forschung ist Teil davon. Dafür müssen alle, die darin tätig sind, auch darauf hinwirken, dass diese erweiterten Exzellenzkriterien als sinnvoll wahrgenommen werden, gleichwertig zu anderen Kriterien.
Wie kann der Exzellenzbegriff helfen, den Wert von partizipativer Forschung in der weiteren Wissenschaftscommunity zu etablieren?
Ahrend: Ich wünsche mir eine Erweiterung des Begriffs von wissenschaftlicher Exzellenz. Das Wort „Exzellenz“ hat sich etabliert. Aber ich hoffe auf ein Wissenschaftsverständnis, das mehrere Logiken in der Bewertung zulässt. Zum einen die nach Innen gerichtete Sicht der Grundlagenforschung, zum anderen die Forschung, die von Anfang an die Überführung in die Gesellschaft mitdenkt. Das ist insbesondere in Bezug auf die großen Themen wie Klimawandel wichtig, da es sonst zu lange in Anspruch nimmt, bis dieses Wissen Mainstream geworden ist.
Wie zahlt ihre Arbeit in der Berlin University Alliance und bei der Gesellschaft für Transdisziplinäre und Partizipative Forschung darauf ein?
Ahrend: Bei der Berlin University Alliance bin ich im Steuerungsgremium für das Handlungsfeld „Fostering Knowledge Exchange“. Ein Bereich des Programms widmet sich „exzellenter Forschung“. Als erstes haben wir Themen aus der Wissenschaft heraus entwickelt und dann in einem zweiten Schritt nicht-wissenschaftliche und wissenschaftliche Akteur*innen vernetzt, die gemeinsam Projekte begonnen haben. Schließlich haben sich daraus in einem langen Prozess relevante Themen aus der Gesellschaft und der Wissenschaft herauskristallisiert, die dann gematched wurden. Nun können sich die Mitgliedsuniversitäten dazu äußern und Projekte entwickeln, um diese Themen anzugehen. Wir habe innovative Verfahren wie etwa „clowning“ – bei denen tatsächlich Clowns zum Einsatz kommen – dazu genutzt, um Forschungsfragen mit der Öffentlichkeit zu generieren. Das wurde sehr positiv aufgenommen: alleine, dass sich die Wissenschaft für die Meinung der Menschen interessiert, hat vielen Freude bereitet. Mit Wissensträger*innen außerhalb der akademischen Welt darüber ins gemeinsame Arbeiten zu kommen, was der richtige Weg ist, Erkenntnisse zu nutzen, bringt die Wissenschaft auch voran, davon bin ich überzeugt.
Bei mit:forschen! Gemeinsam Wissen schaffen vergeben wir seit 2023 den „Wissen der Vielen - Forschungspreis für Citizen Science“ für exzellente partizipative Forschung. Mit einer interdisziplinären Jury haben wir ein Framework für exzellente Citizen Science entwickelt, bei dem zusätzlich zur disziplinären Forschungsqualität „gesellschaftlicher Impact“ und die „Qualität des Forschungsprozesses“ eine Rolle spielen. Wie entwickelt sich die Bedeutung dieser Bereiche in der wissenschaftlichen Community?
Ahrend: Beim gesellschaftlichen Impact habe ich schon den Eindruck, dass sich etwas getan hat. Seit bestimmt zehn Jahren gibt es beispielsweise Strategien für Wissens- und Technologietransfer an außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Wie stark Forschende wirklich mit diesen Aufgaben in den Hochschulen und Forschungseinrichtungen punkten können oder ob nur der wissenschaftliche Output relevant ist, bleibt schwer zu bestimmen. Bei der Qualität des Forschungsprozesses – insbesondere das Setzen von Standards und Richtlinien – ist die Partizipationscommunity sehr aktiv. Vor allem was den Umgang mit Teilnehmenden in den Projekten angeht. Bei angrenzenden Forschungscommunities ist das nicht der Fall – dafür erlebe ich zu oft Diskussionen darüber, welche Maßnahmen und Aufwände doch vielleicht überflüssig wären. Wir müssen uns dafür bei manchen Forschungspartnern stark rechtfertigen, obwohl es sich um Standards des partizipativen Arbeiten handelt.
Hätten Sie abschließend noch eine Idee, was für Strukturen oder Rahmenbedingungen für eine bessere Integration partizipativer Ansätze im Wissenschaftssystem förderlich wären?
Ahrend: Eine Idee wäre, dass – inspiriert von der Produktentwicklung – eine Art „Markteinstiegsphase“ für Wissenstransfer mitgedacht und mitfinanziert wird. Das ist bei Forschungsergebnissen, die Probleme der Gesellschaft lösen sollen, genauso wie bei technologischen Innovationen. Es gibt häufig eine Phase in Forschungsprojekten, in der schon eine Idee entstanden ist, aber für den erfolgreichen Transfer eine weitere Diskussion und Optimierung mit Nicht-Wissenschaftler*innen notwendig ist. Hier stellt sich natürlich die Frage der Finanzierung. Aber wenn Wille und Bewusstsein dafür da sind, ist das ein erster Schritt dahin, Prozesse und Finanzströme anzupassen.
Dieser Beitrag ist Teil unserer Jubiläums-Blogreihe „Fragen für die Zukunft der Citizen Science". Hier geht es zur Übersicht der Blogreihe.