„Methoden können Strukturen bieten” – Herausforderungen der partizipativen Forschung begegnen
Wie können Methoden bei der Durchführung partizipativer Forschungsprozesse helfen? Im Interview erzählen Olivia Höhener, Geschäftsführerin der Partizipativen Wissenschaftsakademie (PWA) Zürich, Alessandro Rearte, Kommunikator und Angebotskoordinator der PWA, und Dr. Sibylle Studer, Projektleiterin des td-net von der Bedeutung partizipativer Forschung in der Schweiz, Herausforderungen in partizipativen Prozessen und ihrer Workshopserie „Methoden am Montag”.
Olivia Höhener, die PWA Zürich unterstützt seit 2018 partizipative Forschung durch unterschiedliche Angebote. Welche Rolle spielt partizipative Forschung in der Schweiz?
Höhener: Partizipative Forschung in der Schweiz findet schon lange statt. In einzelnen Forschungsbereichen, wie etwa der Altersforschung, stellt sich inzwischen sogar eher die Frage, wie man überhaupt exzellente Forschung betreiben kann, ohne Bürgerinnen und Bürger aktiv und partizipativ einzubeziehen. Aber: Meist wird der Begriff „partizipative Forschung” oder „Citizen Science” gar nicht explizit verwendet. Dies hat verschiedene Gründe: Für manche ist es selbstverständlich, so zu forschen. Andere wollen vielleicht die Bevölkerung nicht mit dem Begriff „Forschung” oder „Wissenschaft” abschrecken. Alles in allem befindet sich partizipative Forschung noch in der Nische, auch wenn sich zunehmend Nachwuchsforschende dafür interessieren, weil sie gesellschaftlich relevantes und nachhaltiges Wissen generieren möchten und partizipative Forschung als sinnvolle Vorgehensweise sehen.
Siehst du eine Entwicklung in den letzten zehn Jahren und wenn ja, was hat sich verändert?
Höhener: Ja, ich sehe ganz klar eine Entwicklung in den letzten zehn Jahren: Vor zehn Jahren gab es weder die Partizipative Wissenschaftsakademie noch das Netzwerk oder die Plattform „Schweiz forscht”, die 2015 entstand. Der Begriff „Citizen Science” ist – in Verbindung mit dem Begriff „Open Science” – zunehmend ins Bewusstsein von Hochschulen und privaten Forschungsförderern wie Stiftungen gerückt. Dadurch scheint auch die Anzahl partizipativer Forschungsprojekte oder Kompetenzzentren zu steigen. Oder zumindest die Anzahl derer, die sich selbst dem Begriff zugehörig fühlen oder zuordnen. Bei den Seed Grants, die wir jährlich ausschreiben, haben sich in den ersten vier Jahren die Gesuche mehr als verdoppelt!
Eine im Jahr 2021 erschienene Studie hat gezeigt, dass 48% der Befragten ab 18 Jahren in der Schweiz sich eine Beteiligung an partizipativen Forschungsprojekten vorstellen können. Solche Erkenntnisse hatten wir bis vor zwei Jahren noch gar nicht! Ich sehe also zum einen die Bestrebung der Community, sich zu professionalisieren und in gewisser Weise auch zu legitimieren. Zum anderen sehe ich einen großen Bedarf an Austausch und Vernetzung. Da hat die Schweiz noch etwas Nachholbedarf – die Community ist in der Schweiz bei weitem noch nicht so vernetzt wie in Deutschland. Dies ist sicher einmal mehr auf die Mehrsprachigkeit der Schweiz zurückzuführen.
Sibylle Studer, ihr setzt euch im Rahmen der Vernetzungsplattform td-net mit Methoden auseinander, die die Zusammenarbeit in partizipativen Forschungsprozessen stärken können. Was sind denn typische Herausforderungen in solchen Prozessen?
Studer: Bei td-net kommen Erfahrungen von transdisziplinär Forschenden zusammen, welche Perspektiven von verschiedenen Anspruchsgruppen in ihre Prozesse einbinden möchten. Zu Beginn eines ko-kreativen Prozesses muss man zuerst mal herausfinden, wer die relevanten Akteur*innen sind. Diese bringen unterschiedliche Erwartungen und verschiedene Blickwinkel auf eine Problemstellung mit. Die Problemstellung muss somit auch gemeinsam umrissen werden. Mit Differenzen und Konflikten gilt es dabei konstruktiv umzugehen. Schließlich sind Prozesse und Auswirkungen stetig zu überprüfen, unter anderem darauf hin, ob der Prozess weiterhin Ergebnisse generiert, die dem Ziel dienen. Bei td-net richten wir uns auf das Gemeinwohl aus. Um Forschende und Praktiker*innen bei ko-kreativen Prozessen zu unterstützen, haben wir auf unserem Webportal Werkzeuge für verschiedene konkrete Herausforderungen der transdisziplinären Forschung gesammelt.
Wie können Methoden bei der Lösung unterstützen?
Studer: Wenn sich Akteur*innen mit verschiedenen Perspektiven treffen, um einen Forschungsprozess voranzubringen, können Methoden Strukturen bieten. Mit diesen Strukturen kann man die Diskussionen fokussieren, verschiedene Annahmen und Erwartungen sichtbar machen und gemeinsame Entscheidungen herbeiführen. Indem die Vorgehensweise und Struktur zu Beginn erklärt wird, bieten Methoden Transparenz darüber, wie man sich einbringen kann und idealerweise auch, wo die Wortmeldungen dann in den Forschungsprozess einfließen.
Methoden und Tools unterstützen nicht bei allen Herausforderungen gleich gut. Beispielsweise wird kein Tool alleine helfen, um Konflikten gerecht zu werden. Deshalb haben wir auf dem td-net Webportal noch weitere Ressourcen zusammengestellt, die Methoden und Tools ergänzen, beispielsweise Leitfäden, Reflexionsfragen und Netzwerke.
Kannst du ein Beispiel nennen?
Studer: Die Methode „Outcome Spaces Framework” lädt Teilnehmende dazu ein, sich darüber zu unterhalten, wo sie mit dem Forschungsprozess Veränderungen anstoßen möchten. Diese Veränderungen werden dann drei Gebieten zugeordnet: Neues Wissen generieren, eine konkrete Situation (z.B. Wassermanagement) verändern oder gegenseitiges Lernen anregen. So kommen Forschende mit Anspruchsgruppen in den Austausch über Erwartungen und müssen sich auch fragen, wie Forschungsergebnisse aufbereitet werden sollten: Neben dem klassischen Zeitschriftenartikel braucht es vielleicht eher einen Leitfaden, Checklisten, ein Trainingsprogramm oder andere Veranstaltungen. Zudem bietet sich die Methode auch zur Prozessüberprüfung an, wenn man sie wiederholt anwendet.
Wenn ich ein Citizen-Science-Projekt plane: Wie finde ich dann heraus, welche Methode in der Zusammenarbeit für mich sinnvoll ist?
Höhener: Ich suche den Austausch mit Peers und/oder lasse mich beraten – sei es von anderen Kolleginnen und Kollegen, Projektverantwortlichen oder von der PWA – oder ich besuche eine entsprechende Veranstaltung.
Rearte: Partizipative Prozesse rufen viele, teils unerwartete Widerstände hervor und sind zeit- und ressourcenintensiv. Nicht zuletzt, weil es mehrere Anläufe brauchen kann, bis eine gemeinsame Sprache, situative Regeln und versteckte Machtgefälle gefunden wurden. Wenn mal eine Methode nicht funktioniert, gehört das zur Sache. Dann heißt es: Daraus lernen und weiterprobieren.
Studer: Zuerst versuche ich herauszuarbeiten, wofür genau eine Methode gebraucht wird und was für Ergebnisse sie für den Gesamtprozess generieren soll. Ebenso wichtig ist es, den Kontext und die Teilnehmenden zu kennen, in welchem die Methode angewendet wird: Kennt sich die Gruppe bzw. kennen sich die Teilnehmenden schon? Ist ein Vertrauensverhältnis bzw. ein Konflikt da? Wie groß ist die Gruppe? Wie ist das Machtgefüge? Schließlich setzen auch die verfügbare Zeit und Ressourcen einen Rahmen. Ist man sich über Zweck, Kontext, Teilnehmende, Zeit und Ressourcen der gewünschten Methode klar, dann hilft das bereits bei der Methodenauswahl. Wie von Olivia Höhener angesprochen ist es auch immer zielführend, sich mit Kolleg*innen zum geplanten methodischen Vorgehen Feedback einzuholen: Was ist (noch nicht) verständlich und nachvollziehbar; was dient dem Zweck? Im Austausch spürt man besser heraus, was gut funktionieren könnte.
Wie gut kann ich diese Methode dann – auch ohne sie von der Pike auf erlernt zu haben – einsetzen?
Studer: Die Erfahrungsberichte zu unserer td-net Toolbox zeigen, dass es durchaus gut klappen kann! Es ist sicher hilfreich, sich als Vorbereitung die Arbeiten von anderen anzuschauen, die bereits mit der Methode gearbeitet haben. Auch, um die Geschichte der Methode zu kennen und sich bewusst zu sein, inwiefern man die Methode auf den eigenen Anwendungsbereich adaptieren muss. Idealerweise kann man die Methodenanwendung mit Kolleg*innen besprechen oder vielleicht auch einen Testdurchlauf im Kernteam machen. Dies hilft bei der Entscheidung, ob es für die Methodenanwendung eine externe Unterstützung braucht oder ob man es selbst machen kann.
Die Idee eurer Reihe „Methoden am Montag” ist es, kurz und knackig verschiedene Methoden vorzustellen und mit den Teilnehmenden auch direkt die Anwendung zu probieren. Was passiert in der Reihe genau?
Studer: Nach dem Kick-Off besprechen wir in jeder Sitzung eine Methode. Dazu gibt es eingangs eine ganz kurze Einführung. Danach wenden wir eine ‚Mini-Version’ der Methode an. In der anschließenden Diskussion unterhalten wir uns über die Stärken, Grenzen, Herausforderungen und Einsatzgebiete der Methode. Zusätzlich dazu sammeln wir auch Inputs zu weiteren Methoden, die ähnlichen Zwecken dienen oder die gut kombinierbar sind mit der besprochenen Methode.
Für wen habt ihr diese Reihe konzipiert und wie kann man teilnehmen?
Rearte: Methoden am Montag ist für alle Personen, die sich mit der Planung, Umsetzung und/oder Begleitung von ko-produzierten Forschungsprozessen auseinandersetzen. Bis jetzt gab es immer viele Teilnehmende, die nicht in der Forschung tätig, in ihrer Arbeit aber mit partizipativen Prozessen konfrontiert sind – Situationen, in denen es gilt, ergebnisoffene Zusammenarbeit zu systematisieren und eine gemeinsame Sprache zu finden. Wer an der Reihe teilnehmen möchte, kann sich auf unserer Webseite über einen Link für die jeweiligen Termine anmelden. Der nächste findet am 9. Januar um 12:15 Uhr statt.
Wie wird die Reihe von den Teilnehmenden angenommen?
Rearte: Die vielen Anmeldung sprechen für sich. In der letzten Serie im Frühjahr 2022 wurde neben dem fachlichen Input der Erfahrungsaustausch unter den Teilnehmenden sehr geschätzt. Bei der Vorstellung der jeweiligen Methode waren immer wieder Personen anwesend, die in der Anwendung der Methode bereits praktische Erfahrung hatten und diese mit den anderen Teilnehmenden teilten. Dies möchten wir in der aktuellen Serie aktiv fördern.
Was nehmt ihr aus der Reihe mit?
Höhener: Ich nehme klar den Bedarf an Austausch mit Gleichgesinnten mit. Die Teilnehmenden wollen ihre Erfahrungen miteinander teilen und voneinander lernen.
Studer: Ich freue mich über Inspiration durch die Erfahrungswerte, welche die Teilnehmenden einbringen. Für unsere transdisziplinäre Community ist es spannend zu lernen, wie Citizen Scientists beispielsweise mit Fragen der Inklusion, des Nutzenausgleichs und der Qualitätssicherung umgehen.
Was sind für euch erfolgreiche Partizipationsprozesse?
Höhener: Prozesse, bei denen der Prozess nicht nur Mittel zum Zweck, sondern selbst auch Zweck ist. Prozesse, bei denen es um die Ko-Kreation von Wissen geht und bei denen Erfolge gemeinsam gefeiert und Rückschläge gemeinsam verarbeitet werden. Und bei denen transparent kommuniziert wird und alle Beteiligten zum Ende etwas davon haben.
Rearte: Wenn Teilnehmende ohne Anstellung oder Vergütung sich stark mit dem Projektprozess und -resultat identifizieren können oder sich dafür verantwortlich fühlen, dann ist dies ein verlässlicher Wert.
Woran lassen sich erfolgreiche Partizipationsprozesse messen?
Studer: Der Erfolg von partizipativen Prozessen betrifft oft Phänomene, wie Soziale Kohäsion oder Veränderungen im Verständnis von Mitwirkungsmöglichkeiten, die mit quantitativen Indikatoren nur bedingt messbar sind. Dies soll uns aber nicht davon abhalten, gemeinsam Prinzipien festzuhalten, woran man sich ‚messen’ will in dem Sinne, dass man hellhörig ist für Anekdoten oder Beobachtungen, welche das Erreichen dieser Prinzipien belegen bzw. diesen entgegenlaufen. In der transdisziplinären Forschung sind das Prinzipien wie die Orientierung am Gemeinwohl, der Einbezug von verschiedenen Perspektiven und Wissenschaft als Teil von sozialen Lernprozessen. Relativ einfach quantitativ messbar ist die Anzahl der Mitwirkenden. Mich interessieren dann auch die Eigenschaften der Mitwirkenden, zum Beispiel Alter, Geschlecht, Bildungsstand, Region, oder Beruf. Diese quantitativen Indikatoren sagt aber noch nichts darüber aus, wie die Mitwirkenden und andere den Projekterfolg einschätzen.
Will man strukturiert Aussagen zum Erfolg machen, so braucht es dafür ein Budget sowie Zeit zu Beginn des Projekts, um für das spezifische Projekt sinnvolle Indikatoren zu entwickeln, z.B. mit Hilfe der Theory of Change. Um qualitative Feedbacks zum Prozess bei verschiedenen beteiligten Gruppen aufzunehmen eignen sich beispielsweise die Storywall oder der Most Significant Change Technique.
Was war für euch persönlich das schönste ko-kreative Erlebnis?
Höhener: Wenn die akademisch Forschenden davon überzeugt sind, dass sich die partizipative Herangehensweise gelohnt hat, weil sie neuartiges Wissen generieren konnten, auf das sie alleine nicht gekommen wären. Und wenn die Bürgerforschenden durch die Zusammenarbeit mit der institutionalisierten Wissenschaft befähigt werden, selbst nachhaltig einen Beitrag zur Problemlösung beizutragen. Dann sind nämlich alle bestärkt darin, dass die Zusammenarbeit sich gelohnt hat und sie persönlich davon profitiert haben.
Studer: Immer wenn ich merke, dass ich in der Auseinandersetzung mit meinem Gegenüber eine Anpassung in meinem ‚Mindset’ vornehme. Das heißt, dass zum Beispiel meine Art und Weise die Welt zu sehen bereichert wird und ich merke, dass ich neues Vokabular, neue Argumente kennengelernt habe. Oder ich merke, dass gewisse Argumente oder Wissensbestände von mir veraltet sind, dass ich diese künftig nicht mehr nutzen werde und so Platz für Neues mache. Wenn ich in meinem Gegenüber ähnliche Prozesse beobachte oder als Facilitatorin solche auslöse, dann ist das hoffentlich ein gemeinsames schönstes ko-kreatives Erlebnis.