Nachgeforscht bei Laura Ferschinger von "Wer sind wir? Fridays For Future Meets Citizen Science"
Im Jahr 2019 demonstrierten hunderttausende junger Menschen in Deutschland im Rahmen der „Fridays For Future“ Demonstrationen für mehr Klimaschutz. Seitdem wird auch zunehmend das Verhältnis der jungen Generation zur Politik diskutiert. Die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf möchte nun in ihrem Citizen-Science-Projekt “Wer sind wir? Fridays For Future Meets Citizen Science” gemeinsam mit den Aktivist*innen die Bewegung besser verstehen und daraus Perspektiven für Bürger*innenbeteiligung entwickeln. Wir haben mit Projektleiterin Laura Ferschinger gesprochen:
Worum geht es in Ihrem Projekt?
Unter dem Titel „Wer sind wir? Fridays For Future Meets Citizen Science“ forschen Aktivist*innen der Düsseldorfer Fridays For Future-Bewegung gemeinsam mit einem Team des sozialwissenschaftlichen Instituts der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, an dem ich auch arbeite, zur lokalen Bewegung. Dabei verfolgen wir zwei Ziele: Zum einen möchten wir verstehen: Wie arbeitet die Bewegung? Also, wie organisiert sie sich und wie mobilisiert sie so viele junge Menschen? Unser zweites Ziel ist etwas genereller: Wir möchten Bürgerbeteiligung stärken und dabei aus dem Erfolg von Fridays For Future lernen. Dabei möchten wir die Mitforschenden in den gesamten Forschungsprozess einbinden, um eine Innenperspektive zu gewinnen. So können wir das Wissen über die Organisation mit den Augen, Ohren und Stimmen der Aktivist*innen erforschen.
Wie kam Ihnen die Idee zu dem Projekt? Und warum haben Sie sich für Citizen Science entschieden?
An der Ideenentwicklung waren vor allem Dr. Anna Soßdorf, Dr. Witold Mucha und Viviana Warnken beteiligt. Da Anna Soßdorfs Fachexpertise im Bereich der Partizipation von Jugendlichen liegt und Dr. Witold Mucha schon lange seinen Fokus unter anderem auf die Wissensproduktion mit Studierenden legt, kam im Sommer 2019 die Idee auf, beide Expertisen zu kombinieren und zu kooperieren. Hinzu kam einerseits, dass beiden der interaktive Austausch von Wissenschaft und Gesellschaft sehr wichtig ist, was super zum Citizen Science-Ansatz passt. Und war zu dieser Zeit, im Sommer 2019, Fridays For Future sehr erfolgreich. Durch die Verknüpfung dieser verschiedenen Faktoren entstand die Idee zum Projekt.
„Die Neugier steht immer an erster Stelle eines Problems, das gelöst werden will“, weiß Galileo Galilei. Und darüber hinaus? – Was sollte man mitbringen, um bei dem Projekt mitzumachen?
Neugier und der Spaß an der gemeinsamen Ideenentwicklung sollte man auf jeden Fall mitbringen. Auch ein Interesse an wissenschaftlichem Forschen ist von Vorteil. Und da wir Fridays For Future erforschen wollen, ist es natürlich wichtig, in irgendeiner Form in der Bewegung aktiv zu sein.
Sie stehen noch am Anfang Ihres Projekts. Wie haben sie bisher mit der Bewegung zusammengearbeitet?
Wir haben ganz gezielt die Düsseldorfer Fridays For Future-Bewegung kontaktiert und wurden dann in die Vollversammlung der Bewegung eingeladen. Dort haben wir unser Projekt vorgestellt. Das lief alles überraschend positiv schnell und unkompliziert und wir haben uns sehr über das hohe Interesse und positive Feedback der Aktivist*innen gefreut.
Der erste Workshop mit den Aktivist*innen war für April geplant. Dieser musste wegen der Corona-Einschränkungen verschoben werden, sodass wir jetzt vor kurzem mit einem ersten Online-Workshop in die gemeinsame Forschung gestartet sind. In der Zwischenzeit haben wir uns digital organisiert und verschiedene Ideen umgesetzt, wie z.B. sowohl eine Umfrage konzipiert und durchgeführt als auch einen Blog gestartet, auf dem regelmäßig über das Projekt berichtet wird.
Durch die Corona-Krise sind auch politische Bewegungen in ihren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt. Welche Auswirkungen hat das auf das Forschungsprojekt?
Als Corona aufkam, stand natürlich die Frage im Raum: Wie geht es mit Fridays For Future überhaupt weiter? Da wir die Bewegung untersuchen, betrifft dies ziemlich direkt unser Projekt. Denn je nachdem, wie sich die Bewegung Fridays For Future verändert, verlagert sich auch unser Forschungsinteresse. Vor Corona lag der Fokus auf großen Demonstrationen, das ist jetzt in dieser Form nicht mehr möglich. Dafür werden diverse Online-Aktionen durchgeführt und da interessiert uns natürlich, wie sich der Protest verändert. Dafür haben wir eine Umfrage gestartet, um herauszufinden, wie Fridays For Future auf Corona reagiert. Unsere mitforschenden Aktivist*innen haben bei der Entwicklung und Streuung der Umfrage mitgearbeitet und bald haben wir hoffentlich die ersten Ergebnisse.
Was sind Ihre Pläne für die nächsten Monate?
Wir wollen jetzt konkret in die Forschung einsteigen. Unser Projekt ist unterteilt in fünf Phasen, die sich an der Vorgehensweise des sozialwissenschaftlichen Forschungsprozesses orientiert. Zu Beginn jeder Forschungsphase steht ein Workshop mit allen Mitforschenden. Dabei wird zunächst auf die vor uns liegende Forschungsphase eingegangen, um alle auf den gleichen Wissensstand zu bringen und das Vorgehen zu erläutern. Im Anschluss entwickeln wir dann gemeinsam das Projekt weiter. Konkret bedeutet dies, dass nachdem wir vor wenigen Wochen mit unserem ersten Workshop erfolgreich in die gemeinsame Forschung eingestiegen sind, wir uns nun in der ersten Phase mit der Formulierung und Präzisierung der Forschungsfrage auseinandersetzen. Analog der zweiten Phase des sozialwissenschaftlichen Forschungsprozesses, wird es in unserem zweiten Workshop im August darum gehen, die Erhebung zu planen und bis zum dritten Workshop durchzuführen. In der dritten Phase werden wir gemeinsam die Daten erheben und erfassen, im vierten Schritt die Daten auswerten und zuletzt einen Forschungsbericht verfassen und die Ergebnisse im Sommer 2021 vorstellen.
Was kann man in Ihrem Projekt dazulernen?
Wir hoffen sehr, den jungen Mitforschenden etwas bieten zu können, indem wir Einblicke in die Wissenschaft ermöglichen und sozialwissenschaftliche Forschungskompetenzen vermitteln. Zudem lernen die Mitforschenden durch die Einbindung in den gesamten Forschungsprozess, in den Workshops und bei der Kommunikation Diskurs-Werkzeuge kennen, die sie dann auch außerhalb des Projektes anwenden können. Der Austausch über sich selbst als Bewegung eröffnet ihnen Chancen zur Reflektion und zum Lerngewinn. Durch unser Abschlussevent erhalten sie außerdem die Möglichkeit, ihr Netzwerk zu vergrößern.
Aber auch wir als Forscher*innen können durch die Perspektive der Mitforschenden viel lernen! Ich sehe das als Bereicherung, weil die Aktivist*innen die Expertise über die Organisation der Bewegung haben und in das Projekt einbringen. Außerdem ermöglichen sie uns so durch ihre Sichtweise unseren eigenen Horizont zu erweitern. Und das geht wunderbar, indem man unterschiedliche Teile der Gesellschaft, wie in unserem Fall, zusammenführt.
Zum Abschluss noch ein kleiner Ausblick: Was soll mit den Ergebnissen passieren?
Einerseits möchten wir unsere Ergebnisse publizieren, andererseits haben wir ein Barcamp als Abschlussevent am Ende unseres Projektes geplant. Hier möchten wir zum einen die Ergebnisse präsentieren und zum anderen aber auch gleich in die Diskussion mit den Bürger*innen einsteigen. Wir versuchen dadurch, Anknüpfungspunkte zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu schaffen und daraus auch Ideen für neue Projekte zu entwickeln. Dieser Austausch bzw. die Annäherung zwischen verschiedenen Gruppen, hat auch einen Mehrwert für die Gesellschaft, in der wir eine stärkere Polarisierung erleben. Da ist es unheimlich wichtig, Wissenschaftskommunikation zu betreiben und so nicht mit unserer Forschung im Elfenbeinturm zu verharren, sondern die Wissenschaft an die Bürger*innen heranzutragen. Umgekehrt bietet das die Möglichkeit, das Wissen, die Ideen und die Forschungsressourcen der Bürger*innen einzubinden und so der Polarisierung ein wenig entgegenzuwirken! Ich denke, das ist gerade auch vor dem Hintergrund von Corona und den damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Spannungen hochaktuell.
Laura Ferschinger ist Projektleiterin von "Wer sind wir? Fridays For Future Meets Citizen Science" am Sozialwissenschaftlichen Institut der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf