Preisträgerin Anna Meyer: „Das wichtigste ist gute Kommunikation auf Augenhöhe”
Anna Natalie Meyer erhielt 2023, stellvertretend für ihr Team, den Wissen der Vielen – Forschungspreis für Citizen Science (3. Platz) für die Publikation „Where does Arctic beach debris come from? Analyzing debris composition and provenance on Svalbard aided by citizen scientists“. Wir sprechen mit ihr über ihre Erfahrungen im Bereich Citizen Science und über die prämierten Forschungsergebnisse.
Was begeistert dich am wissenschaftlichen Arbeiten und was sind deine Forschungsinteressen?
Anna Meyer: Ich interessiere mich für die Forschung rund um Meeresverschmutzung durch Plastik: also woher es kommt, geografisch und auch industriell, wie es ins Meer gelangt – was gar nicht immer so einfach herauszufinden ist – und wie es das Ökosystem beeinflusst, also Tiere und Pflanzen. Man kennt ja die Bilder von Vögeln zum Beispiel, die an Seilen erstickt sind. Das ist schrecklich zu sehen, aber es ist auch wichtig, darauf aufmerksam zu machen. Wissenschaftliches Arbeiten begeistert mich eher im Kontext der Berichterstattung. Durch das Schaffen von Aufmerksamkeit erzielt man hoffentlich auch eine Veränderung im Verhalten – nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch auf regionaler und globaler. Wissenschaftliches Arbeiten verstehe ich also eher als Weg zum Ziel. Es gefällt mir total, eine Forschungsfrage auszuarbeiten und dann mit den angemessenen Mitteln und Methoden Antworten zu finden.
Wann ist dir denn Citizen Science als Methode das erste Mal begegnet?
Anna Meyer: Zum ersten Mal durch die Arbeit am Alfred-Wegner-Institut (AWI) im Zuge meiner Bachelorarbeit. Ich hatte davor natürlich schon davon gehört, aber nie im Kontext der Datennutzung für wissenschaftliche Publikationen. Außerdem kannte ich den Ansatz durch andere Projekte in meiner Arbeitsgruppe, wie zum Beispiel die Mikroplastik-Detektive, die auch komplett mit Citizen-Science-Daten arbeiten.
Deine prämierte Publikation basiert auf Daten eines Projekts, in dem mit Bürger*innen auf touristischen Polarexpeditionen Plastikmüll an Stränden gesammelt wurde. Was war das Ziel des Projekts?
Anna Meyer: Es auf ein Ziel herunterzubrechen, ist schwer. Am wichtigsten war uns eigentlich, herauszufinden, was für Müll vorhanden ist und wie viel. Die Art des Mülls lässt etwa Rückschlüsse auf verschiedene Industrien zu. Wenn man ein Fischernetz sieht, weiß man direkt, dass es aus der Fischerei kommt oder ein Seil mit Schifffahrt zu tun hat. Gleichzeitig waren die Herkunftsdaten total wichtig. Woher kommt dieser Müll? Aus Spitzbergen kann er nicht sein, denn dort wohnen zu wenig Menschen. Es wird alles an den Strand angespült. Die Herkunft zu analysieren war unser Ziel. Hierfür wurde zum Beispiel auf die Sprache der Schrift auf dem Müll geschaut und dann zugeordnet. Das fand ich total interessant.
Dann habt ihr jedes Müllpartikel auf die Sprache hin untersucht?
Anna Meyer: Ja, ich habe einen Sack Müll, also ein Datenset, selber analysiert und alles aussortiert, was Schrift darauf hatte – egal, ob ich verstanden habe oder nicht, was darauf stand. Ich habe mir jedes Teil angeschaut, alles fotografiert und zum Teil übersetzen lassen. Ich habe auch viele Firmen angeschrieben, deren Produkte wir gefunden haben. Dabei wollte ich zum Beispiel herausfinden, wie lange es das Design gibt. Ist es neu produziert oder ist das ein Modell, das schon vor 40 Jahren ausgelaufen ist?
Wie sah das Engagement der Citizen Scientists aus?
Anna Meyer: Die Citizens waren hauptsächlich in die Datenerhebung von Müll am Strand eingebunden. Außerdem beteiligt war unsere Multiplikatorin Birgit Lutz, die wir im Team auch als Citizen Scientist ansehen, weil sie als Expeditionsleiterin in der Arktis die Ortskenntnisse hatte. Sie hat gemeinsam mit Dr. Melanie Bergmann vom AWI ein Protokoll für die Cleanups erstellt und vor den Sammlungen einen Vortrag für die Interessierten gehalten. Sie hat erklärt, warum wir das machen, was wir genau machen und wie der Prozess am Strand ist. Danach waren die meisten immer total begeistert, zu helfen. Das Helfen beinhaltet hauptsächlich das Ausmessen der Fläche am Strand, das Sammeln des Mülls in dieser Fläche und die Dokumentation des Mülls. Wichtig war dabei, was und wie viel gesammelt wurde und das Gewicht. Der Müll wurde dann an Bord transportiert und entweder entsorgt oder für die weitere Analyse zum AWI nach Bremerhaven geschickt.
Dann hatten die Daten es bereits ins Labor geschafft. Der Weg zur Publikation war sicher trotzdem noch weit. Was sind denn die wichtigsten Erkenntnisse der prämierten Forschungsarbeit?
Anna Meyer: An einem abgelegenen Ort wie Spitzbergen muss der meiste Müll vom Meer an den Strand gespült werden. Dabei hat der Fischerei-Abfall wie Netze, Bojen und Seile in der Masse dominiert, also vom Gewicht her. Das deutet auf seebasierte Quellen hin. Geht man von der Anzahl aus, haben allgemeine Kunststoffe dominiert, wie zum Beispiel Verpackungen aus Plastik. Bei ihnen kann man nicht direkt Rückschlüsse ziehen, denn sowohl auf dem Land als auch auf Schiffen werden Zahnbürsten benutzt oder Joghurts gegessen. Neben den Indikatoren Masse und Anzahl waren die Herkunftsdaten wichtig. Wir haben herausgefunden, dass 65 Prozent des Mülls von arktischen Staaten wie Russland und Norwegen stammten. Allerdings war auch ein Drittel europäischer Herkunft und 8 Prozent stammten aus Deutschland. Das zeigt, dass auch Länder mit gut organisierter Abfallwirtschaft zur Plastikverschmutzung an fernen Orten wie der Arktis beitragen können. Diese wertvollen Ergebnisse konnten nur dank des Citizen-Science-Engagements erzielt werden.
Unsere Jury hatte besonders hervorgehoben, dass in eurer Publikation eine gute Balance zwischen der Darstellung der wissenschaftlichen Methoden und der Anerkennung der Engagierten gelungen ist. Zusätzlich habt ihr ein großes mediales Interesse erzielt. Wie ist euch das gelungen?
Anna Meyer: Die Anerkennung ist total wichtig, denn das Projekt wäre ohne die Engagierten nicht möglich gewesen. Solche Erhebungen in einer schwer zugänglichen Region wie der Arktis hätten wir ohne die Masse an Beteiligten nicht geschafft. Um die Zuverlässigkeit wissenschaftlicher Methoden zu gewährleisten, hielten sich die Citizen Scientists an ein vorbereitetes Protokoll. Bei der Durchführung der Cleanups musste daran festgehalten werden, damit die Daten für die wissenschaftliche Analyse nutzbar waren. Das große mediale Interesse ist der Arbeit des AWIs und Dr. Melanie Bergmann zuzuschreiben. Über ein Projekt, das bereits über fünf Jahre lief, gibt es viel Interessantes zu berichten und wir haben eben viele wichtige Sachen herausgefunden. Zusätzlich waren sicher unsere veröffentlichten Fotos beeindruckend. Man stellt sich die Arktis immer als wunderschöne weiße Landschaft vor und wenn es dann plötzlich um Strandmüll geht, generiert das Aufmerksamkeit. Außerdem zeigt unser Projekt, dass jeder Mensch sich an einer solchen Forschung beteiligen kann – das hat sicher auch Interesse geweckt.
In einem Citizen-Science-Projekt fallen viele verschiedene Aufgaben an. Wie siehst du deine Rolle?
Anna Meyer: Ich bin eher zum Ende des Projekts dazugekommen, habe selbst analysiert und meine Bachelorarbeit auf Grundlage der Daten geschrieben. Meine Aufgabe war es, Daten aus fünf Jahren und 15 Erhebungen zusammenzubringen und in einem klaren Werk darzustellen. Ich bin vielleicht diejenige, die am Ende alles abgerundet hat.
Was für Herausforderungen sind euch auf dem Weg von den Erhebungen bis zur Publikation der Forschungsarbeit begegnet?
Anna Meyer: Ja, Herausforderungen gab es sicher bei einem so großen Projekt – über fünf Jahre mit 15 Erhebungen. Das musste alles geplant werden und das Engagement der touristischen Expeditionsteilnemer*innen ist nicht immer gesichert. Schließlich ist Müllsammeln in der Freizeit nicht das Attraktivste. Aber der Vortrag von Expeditionsleiterin Birgit Lutz hat viele für ein Engagement begeistern können. Darüber hinaus ist die Planung von den Strandgängen immer wieder herausfordernd aufgrund von Sicherheitsfragen, wie der notwendigen Eisbärenwache und generell der Kälte. Meine persönliche Herausforderung war es dann, all die Daten aus den einzelnen Erhebungen zusammenzubringen und die Ergebnisse so darzustellen, dass auch Personen sie verstehen können, die nicht so tief im Thema stecken.
Was macht für dich ein gutes Citizen-Science-Projekt aus?
Anna Meyer: Das wichtigste ist gute Kommunikation auf Augenhöhe: im Vorfeld, während des Projekts und auch im Nachgang. Das Protokoll zur Durchführung wurde ko-kreativ mit der Expeditionleiterin entwickelt. Jede Person muss wissen, was für eine Rolle sie spielt. Zusätzlich ist wichtig, dass die Citizen Scientists auch im Nachhinein über die Entwicklungen und Analyseergebnisse auf dem Laufenden gehalten werden. Das hat Birgit Lutz z.B. über ihren Blog und die Veranstaltungsreihe "Arktische Abende" gemacht.
Wofür werden zukünftig im Projekt die Preisgelder eingesetzt?
Anna Meyer: Mit den Preisgeldern können Aufwandsentschädigungen für weitere Stranderhebungen mit Citizen Scientists gezahlt werden. Diesmal soll es zur Forschungsreise nach Grönland gehen. Außerdem wird die Expeditionsleiterin Birgit Lutz weiterhin in arktischen Gebieten Kotproben für Mikroplastik-Analysen sammeln.