„Die Begeisterung der vielen Menschen zu sehen, die mit Herzblut dabei sind, das ist sehr rührend“ – Nachgeforscht bei KuLaDig Rheinland-Pfalz

Das Projekt „KuLaDig Rheinland-Pfalz“ macht Kulturgeschichte mit Hilfe von Ehrenamtlichen und Studierenden sichtbar, erlebbar und multimedial nutzbar. Wie das Projekt in die neue Förderphase startet, was bisherige Meilensteine waren und wie sich die Perspektive auf Kulturgeschichte und Kommunen in Rheinland-Pfalz durch das Projekt verändert hat, erläutern Michael Klemm, Christine Brehm und Florian Weber.
Worum geht es in dem Projekt und wie ist es aufgebaut?
Klemm: Im Kern geht es darum, die Kommunen in Rheinland-Pfalz bei der digitalen und multimedialen Aufbereitung ihres kulturellen Erbes zu unterstützen. Gerade in kleinen und mittelgroßen Kommunen sehen wir extrem viel freiwilliges Engagement: Leute, die sich für die Erhaltung des kulturellen Erbes einsetzen, Ortschroniken schreiben oder Stadtführungen geben. Leute, die sich über Jahrzehnte ein enormes lokales Wissen angeeignet haben. Und genau da setzen wir an. Wir wollen dieses Wissen mit der Hilfe von Freiwilligen vor Ort und Studierenden der Uni Koblenz in multimediale Beiträge integrieren – mit Videos, Audios, Drohnenaufnahmen oder sogar in 360 Grad Räumen, mit Gamification-Elementen oder auch KI.

Warum habt ihr euch für Citizen Science entschieden?
Brehm: Ursprünglich hatte sich das Land Rheinland-Pfalz vorgenommen, kulturelle Objekte und Kulturlandschaften zu digitalisieren und in einer Datenbank für die Raumordnung und Landesplanung abrufbar zu machen. Da dem Land das Ehrenamt immer schon wichtig war, hat man im nächsten Schritt überlegt, die Datenbank zu öffnen und damit das Ehrenamt zu unterstützen. So ist man auf die Plattform KuLaDig (Kultur.Landschaft.Digital) gekommen, die einen wissenschaftlichen und partizipativen Ansatz verfolgt, nämlich dass jede*r ehrenamtlich mitmachen kann. Die Leute vor Ort wissen schließlich am besten, was es bei ihnen alles an Geschichte und Geschichten gibt. So können auch Objekte aufgenommen werden, die man vielleicht gar nicht auf dem Schirm hatte, die nicht mehr da sind oder nicht die führende Rolle spielen. Zusätzlich werden Studierende eingebunden, die die kommunalen Teams mit Know-how unterstützen, um das lokale Wissen sichtbar zu machen. Kommunen, die sich für eine Teilnahme bewerben, aber keinen Platz im Projekt bekommen, können sich an das KuLaDig-Kompetenzzentrum Rheinland-Pfalz wenden und über diesen Weg in KuLaDig mitwirken.
Weber: Mit den kommunalen Teams arbeiten wir, um das lokale Wissen der Menschen zu akquirieren und sichtbar zu machen. Zeitzeug*innen können aus eigener Erfahrung von historischen Ereignissen berichten, beispielsweise von der Reichspogromnacht, der Nachkriegszeit oder von Berufen, denen sie nachgegangen sind, die es heute gar nicht mehr gibt, beispielsweise im Schieferbergbau oder als Rhein-Lotse. Das sind Menschen, die über ein unfassbar wichtiges Wissen verfügen, das in wenigen Jahren nicht mehr authentisch erzählt werden kann. Es ist unheimlich wichtig, dieses Wissen zu dokumentieren, zu sichern und für nachfolgende Generationen verfügbar zu machen.
Klemm: Es ist immer wieder beeindruckend, dass es in jedem Ort Menschen gibt, die sich seit Jahren, teilweise Jahrzehnten, mit der Ortsgeschichte beschäftigen. Und zwar unfassbar engagiert im Ehrenamt. Es ist uns ein großes Anliegen, das Ehrenamt sichtbarer zu machen, zu fördern und diesen Menschen Anerkennung für ihre tolle Arbeit zu geben. Wir schaffen es, glaube ich, immer wieder gut diese Menschen zusammenzubringen. Manchmal auch zum ersten Mal. Das sind Menschen aus der Ortspolitik, der Vermarktung, dem Tourismus, Wissensträger*innen und viele weitere. Das ganze Projekt geht nur im Teamwork, das macht uns aus.
Wer kann bei KuLaDig-RLP mitmachen und was müssen die Citizen Scientists mitbringen?
Weber: Wir haben v.a. drei große Personengruppen: Die lokale Politik oder Verwaltung, die die Bewerbung initiieren, die Wissensträger*innen, die über das lokale Wissen verfügen und die Touristiker*innen, die sich um die Öffentlichkeitsarbeit kümmern. Es ist wichtig, dass die Teilnehmenden leidenschaftlich dabei sind, am Ball bleiben, ihre Zeit in das Projekt investieren wollen und natürlich, dass das lokale Wissen vorhanden ist. Die kommunalen Partner*innen kümmern sich selbst um die Erstellung der Texte und Beiträge. Das muss dann am Ende sichtbar gemacht werden, wobei sie von den Studierenden unterstützt werden. Es ist wichtig, dass die Kommunen auch selbst einen Mehrwert haben und die Menschen ihr eigenes kulturelles Erbe wahrnehmen können. Die Daten sollen nicht nur im digitalen Raum schlummern, sondern auch auf die Straße gebracht, also vor Ort genutzt werden – über QR-Codes, über Flyer, über Veranstaltungen.

Was waren die bisherigen Meilensteine und worauf freut ihr euch in der Zukunft?
Klemm: Die Netzwerke und die Infrastruktur, die schon aufgebaut worden sind, wollen wir noch weiterentwickeln. Wir haben in den ersten sechs Jahren 56 Kommunen betreut und damit Rheinland-Pfalz schon gut abgedeckt. Wir haben über 600 Beiträge erstellt, an denen jeweils mehrere Medien, Videos, Audios, 360-Grad-Räume etc. hängen. Für die neue Förderung haben wir drei Säulen entwickelt: Die erste ist ein jährlich wechselndes gemeinsames Rahmenthema. Die zweite ist der Aufbau eines KuLaDig-RLP Campus, zur Verbreitung des Wissens über Medienproduktionen und die Aufbereitung kulturellen Erbes. Die dritte Säule ist unser regionaler Schwerpunkt „Bundesgartenschau 2029“. An dieser Stelle müssen wir uns nochmal neu erfinden. Wir haben jetzt nicht 10 Kommunen, die wir ein Jahr lang betreuen, sondern 40 Kommunen, die wir über mehrere Jahre unterstützen. Dafür wollen wir quer durch das Obere Mittelrheintal, in dem die Bundesgartenschau 2029 stattfindet, Themenrouten entwickeln. Wir wollen die einzelnen Objekte verbinden und Geschichten erzählen, multimediales Storytelling sozusagen.
Welche Herausforderungen sind euch bisher begegnet?
Weber: Eine der größten Herausforderungen ist es, die Menschen „bei der Stange zu halten“. Da wir mit Ehrenamtlichen arbeiten, ist die Zeit, die von den Beteiligten investiert wird, für uns natürlich extrem wertvoll. Bisher hat das immer gut funktioniert und ich bin voller Hoffnung, dass das auch mit den neuen Formaten weiterhin so gut klappt.
Klemm: Das Vernetzen, das Dranbleiben, die Beharrlichkeit und das Freundlichsein – das ist eine verdammt wichtige Aufgabe. Mit dem Erfolg, den wir haben, steigen allerdings auch die Ansprüche aus den Kommunen. Wir können jetzt nicht mehr sagen, wir machen ein paar Texte mit Fotos. Diesen steigenden Erwartungen mit einem kleinen Team und relativ geringem Budget gerecht zu werden, ist eine echte Herausforderung. Und ein weiterer Punkt ist, dass auch wir als Projektteam uns Zeit für uns selbst nehmen: zusammenkommen, diskutieren, Weiterbildungen machen. Das finde ich eine wichtige Sache.

Was wünscht ihr euch für die Zukunft?
Brehm: Ich wünsche mir, dass die Zusammenarbeit mit dem Landschaftsverband Rheinland (LVR) auch in Zukunft so gut bleibt, dass die Landespolitik uns weiterhin so positiv gegenübersteht und unterstützt und dass sich das Projekt weiter so gut entwickelt und in der Bevölkerung noch bekannter wird. Am Anfang mussten wir viel Klinken putzen, inzwischen haben sich die Vorzeichen umgekehrt. Interessierte nehmen nun Kontakt zu uns auf und möchten zusammenarbeiten, unsere KuLaDig Netzwerktreffen sind gut besucht, die Kommunen möchten mit KuLaDig gemeinsam zu Führungen einladen und Veranstaltungen organisieren. Es wäre schön, wenn sich das so weiterentwickelt. Vor allem aber wünsche ich mir, dass wir weiterhin viele Mitwirkende aus dem Ehrenamt und mehr jüngere Leute gewinnen.
Weber: Mit Blick auf die aktuellen technischen Entwicklungen finde ich es sehr spannend diesen Prozess aktiv mitzugestalten. Es wird immer wichtiger, dass man verifizierte Daten und historisch verbürgte Informationen einspeist und somit für Suchmaschinen und KIs verfügbar macht. Zudem geht es um die Sichtbarmachung von Daten, die in irgendwelchen Archiven schlummern und die auf diese Weise sichtbar und nutzbar gemacht werden können. Da können wir wirklich einen Beitrag leisten. KuLaDig-Objekte können in ganz verschiedene Beziehungen gesetzt werden. Das finde ich sehr spannend.

Wie hat sich eure Perspektive auf die Menschen, die Geschichten und die Kommunen in Rheinland-Pfalz geändert?
Weber: Man hat wirklich das Gefühl etwas Sinnvolles zu tun. Die Begeisterung der vielen Menschen zu sehen, die mit Herzblut dabei sind, das ist sehr rührend. Ich kenne Rheinland-Pfalz inzwischen sehr gut, vielleicht sogar besser als mein Heimatbundesland Nordrhein Westfalen. Und ich finde es jedes Mal spannend, wieder einen neuen Aspekt des Bundeslandes kennenzulernen, Neues über Kulturgeschichte zu lernen und so viele herzliche Menschen zu treffen.
Brehm: Wenn ich im Land unterwegs bin und beispielsweise von Kommunen eingeladen werde, habe ich immer das Gefühl, man lebt die Demokratie und arbeitet damit. Denn auch in einem scheinbar kleinen Projekt kann man viel bewegen und initiieren und etwas für die Gemeinschaft beitragen. Es freut einen natürlich, wenn man angesprochen wird und die Menschen begeistert sind. Wenn man Veranstaltungen organisiert und die Leute gehen glücklich und zufrieden heim, sind inspiriert und fangen an, sich weiter zu betätigen.
Klemm: Die Anerkennung und Wertschätzung der oft jahrelangen ehrenamtlichen Arbeit von Menschen vor Ort, das finde ich sehr wichtig. Und auch das Bewahren von Zeitzeug*innenwissen. Schon einige der Leute, die wir da in Videos haben, leben nicht mehr. Deren Wissen wäre ohne dieses Projekt verloren gegangen.
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Christine Brehm: Kompetenzzentrum KuLaDig RLP, Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd in Neustadt an der Weinstraße
Michael Klemm: Projektleiter und Professor für Medienwissenschaft, Institut für Kulturwissenschaft an der Universität in Koblenz.
Florian Weber: Wissenschaftliche Mitarbeiter im Landesprojekt Rheinland-Pfalz, Betreuung und Kommunikation mit den kommunalen Partner*innen und Studierenden.