“Für uns ist es nicht nur schön unsere Forschung mit Laien zu teilen, sondern die Citizen Scientists leisten einen wichtigen, unersetzlichen Beitrag!”
Bei “Radio Galaxy Zoo: LOFAR” können Bürger*innen Bilder von hochenergetischen Strahlungsquellen klassifizieren, um Astronom*innen bei der Suche nach dem Ursprung bisher unentdeckter Galaxien zu unterstützen. Prof. Dr. Marcus Brüggen ist Astrophysiker an der Universität Hamburg und verantwortlich für die gemeinsam mit der Universität Bielefeld betriebene LOFAR-Station in Norderstedt. Für ihn ist es das erste Citizen-Science-Projekt, das er begleitet. Ein Interview mit Prof. Dr. Marcus Brüggen:
Schwarze Löcher und entfernte Galaxien üben eine magische Faszination auf viele aus. Doch das Thema ist gleichzeitig sehr komplex. Wie erklären Sie Interessierten, worum es bei Ihrem Forschungsprojekt geht?
Genau, sogar in der Popkultur gibt es viele Referenzen zu diesem Thema. Was viele Menschen nicht wissen, ist dass im Grunde der ganzen Himmel voll von Schwarzen Löchern ist. Wir schauen uns sehr massereiche schwarze Löcher an. Die haben eine Masse vom millionen- bis milliardenfachen der Sonne und produzieren unter anderem Strahlung im Radiowellenbereich, ähnlich zur Strahlung von UKW-Radios oder Handystrahlung. Wir „fotografieren“ diese schwarzen Löcher mit Radio-Teleskopen. Aber die Auswertung läuft anders als früher, denn wir sind gerade auf der Schwelle zu einem neuen Zeitalter der Astronomie! Früher verschwanden die Astronomen noch in ihren Kämmerchen und hinter ihren Bildschirmen, um alleine Daten auszuwerten. Heutzutage sind die Datenmengen durch automatisierte Teleskope viel zu groß, um das allein zu schaffen. Und da kommt das Citizen-Science-Projekt ins Spiel! Wir müssen nun diese Arbeit auf viele Schultern verteilen. Gemeinsam können wir Antworten auf verschiedene Forschungsfragen finden: Wo kommt die Strahlung her, was ist das Zentrum der Strahlung, gehören Strahlungsquellen vielleicht zusammen oder nicht? Und konkret in diesem Projekt: Wie kann man Strahlungsquellen, die man mit verschiedenen Teleskopen beobachtet, einander zuordnen? Diese Datenauswertung können weder die Wissenschaftler*innen noch Computer alleine machen!
Im LOFAR-Projekt entstehen enorm große Datensätze. Warum haben Sie sich bei der Datenanalyse für eine Unterstützung durch Citizen Scientists entschieden? Welche Vorteile sehen Sie gegenüber der Auswertung durch Algorithmen?
In Zukunft ist die Hoffnung, dass Algorithmen den Großteil der Datenauswertung solcher Himmelsdurchmusterungen übernehmen könnten. Derzeit ist das aber noch nicht möglich. Es gibt zwar enorme Fortschritte in der Forschung zur künstlichen Intelligenz, aber in der Astronomie ist das viel schwieriger. Hier sind die Daten ganz anders, als z.B. bei Google oder ähnlichen Unternehmen, die in der Nutzung künstlicher Intelligenz schon deutlich weiter sind. Dort stehen große Datensätze zum Trainieren der Algorithmen zur Verfügung. Diese Menge an Datensätzen haben wir in unserer Forschung nicht. Außerdem können die Algorithmen mit der Art von Daten, die wir haben, schwerer trainiert werden, da die Daten häufig uneinheitlich skaliert und vom Hintergrundrauschen kaum zu unterscheiden sind. Das heißt, ohne Citizen Science könnten wir diese Projekte gar nicht machen! Für uns ist es also nicht nur schön, unsere Forschung mit Laien zu teilen, sondern die Citizen Scientists leisten einen wichtigen, unersetzlichen Beitrag!
Bisher gab es in Ihrem Projekt knapp 160.000 Klassifikationen durch Citizen Scientists. Hatten Sie Probleme mit fehlerhaften Klassifikationen? Wie reagieren Sie darauf, dass Auswertungen auch fehlerbehaftet sein können? Welche Vorkehrungen treffen Sie?
Inzwischen haben wir ungefähr 6000 registrierte Freiwillige, die insgesamt pro Tag ca. 700 Klassifizierungen machen, manchmal auch etwas mehr. Damit ist die Beteiligung auf einem Level, auf dem wir sie benötigen. Das ist wirklich super! Alle Bilder werden im Verlauf des Projekts von drei Citizen Scientists klassifiziert und nur wenn diese drei Einschätzungen übereinstimmen, geht die Klassifikation weiter in unsere Datenbank. Wir haben die Klassifikationen der Citizen Scientists auch stichprobenartig von Expert*innen überprüfen lassen und das sieht bisher gut aus. Richtig belastbare Statistiken kriegen wir aber erst, wenn wir alle Daten mit den Ergebnissen der Entfernungsmessung der optischen Galaxien durch unser Teleskop auf La Palma nachgeprüft haben.
Was sehen Sie in Ihrem Projekt aktuell als größte Herausforderung an? Gibt es etwas, was Sie das nächste Mal vielleicht anders machen würden?
Nachdem wir im Anschluss an die Pressemitteilung sehr viel Beteiligung hatten, hat man danach gemerkt, wie die Beteiligung etwas abnahm. Hier haben wir uns überlegt, dass z.B. ein Newsletter oder wöchentliche Updates an die Teilnehmenden verschickt werden könnten. Darin könnten sie informiert werden, bei wie vielen Klassifizierungen wir aktuell stehen und wie viele wir noch brauchen. In unseren Foren haben wir auch festgestellt, dass es schön wäre, wenn die Expert*innen aktiver wären und dadurch Interaktion mit den Citizen Scientists mehr initiieren und unterstützen würden. Betreuung und Kontakthalten sind hier also wahrscheinlich am relevantesten. Die nötigen Ressourcen dafür müssten wir natürlich bedenken.
Teleskop, Physik-Handbuch oder Laptop – wie technisch versiert und wie astronomisch interessiert sollten Ihre Mitforscher*innen sein?
Gar nicht! Außer Spaß am Thema und einem Internetzugang gibt es keine Voraussetzungen. Die Mustererkennung erlernt man innerhalb weniger Minuten. Und das war für uns auch wichtig bei diesem Projekt, denn wir wollten nicht nur Leute mit viel Vorerfahrung erreichen, sondern auch komplette Laien.
Wir sind neugierig: Was war Ihr bisher schönster Citizen-Science-Moment?
Was mich immer freut und was ich auch gehofft hatte, ist dass sich Lehrkräfte an uns wenden und unser Projekt im Schulunterricht gemeinsam mit ihrer Klasse nutzen. So erreichen wir auch Kinder und Jugendliche. Ich finde es super, wenn das Thema durch alle Generationen geht. Und besonders in der Corona-Zeit, in der die Schulen geschlossen hatten, war das Projekt ein Vehikel für Lehrkräfte, um die Schüler*innen sinnvoll zu beschäftigen und ihnen etwas über den Himmel zu erzählen.
Auf der Projektwebsite gibt es einen Balken, der den Forschungsfortschritt angibt, aktuell liegt er bei 45 Prozent. Gibt es schon spannende Erkenntnisse, die Sie mit uns teilen können? Wenn ja, wo kann man die Ergebnisse sehen?
Die Datenauswertung ist noch nicht abgeschlossen, aber wir haben von verschiedenen Citizen Scientists Hinweise bekommen, dass sie ganz besondere Strahlungsquellen gesehen haben, die sie nicht zuordnen konnten und die ihnen komisch vorkamen. Diese Bilder haben wir uns dann angeschaut und auch wir waren überrascht über die Formen und Muster, die manche Schwarzen Löcher verursachen können! Diese speziellen Strahlungsquellen werden wahrscheinlich nochmal ein gesonderter Forschungsgegenstand werden. Hier stehen wir wirklich erst relativ am Anfang. Unsere Ergebnisse werden wir in Fachjournalen und im Blog meines Kollegen aus den Niederlanden Erik Osinga veröffentlichen.
Und zum Schluss bleibt mir noch zu sagen, dass ich immer wieder begeistert und dankbar bin, wie viel Interesse Bürger*innen an der Wissenschaft haben und hoffe auch etwas zurückgeben zu können!
Prof. Dr. Marcus Brüggen ist Astrophysiker an der Universität Hamburg und verantwortlich für die gemeinsam mit der Universität Bielefeld betriebene LOFAR-Station in Norderstedt.