Eva Weiß: „Barrierefreiheit muss nicht kompliziert sein!”
Eva Weiß forscht seit mehreren Jahren im Projekt Nachtlicht-BüHNE zum Thema Lichtverschmutzung. Im Interview teilt sie ihre Erfahrungen als Bürgerwissenschaftlerin mit Schwerhörigkeit und ruft zu mehr Mut beim Barriereabbau im Bereich Citizen Science auf.
Was hat dich zu deinem Engagement als Citizen Scientist bei Nachtlicht-BüHNE bewegt?
Eva: Ich bin großer Star-Trek-Fan und war fasziniert, als ich festgestellt habe, dass die Sterne aus dem Star-Trek-Universum die gleichen sind, die wir am Himmel sehen. Dann habe ich die App Globe at Night (damals Loss of Night) gefunden, mit der man der Wissenschaft helfen kann, Lichtverschmutzung zu dokumentieren – die habe ich allerdings nicht zum Laufen gebracht. Nachdem ich mein technisches Problem gemeldet hatte, bekam ich nicht nur Hilfe, sondern auch die Einladung, bei Nachtlichter mitzumachen.
Kanntest du den Ansatz Citizen Science vorher schon?
Eva: Nein, das war völliges Neuland. Ich wusste nicht, was mich erwartet oder worum es geht. Circa zwei Wochen vor dem ersten Corona-Lockdown bin ich zum Team dazugestoßen und einfach ins kalte Wasser gesprungen.
Wie wirkst du bei Nachtlichter mit?
Eva: Ich habe mich insbesondere dafür eingesetzt, dass wir mehr auf Barrierefreiheit achten – zum Beispiel durch die Anpassung der Farben in der App, sodass sie auch für Farbsehbehinderte gut zu unterscheiden sind. Außerdem stelle ich gerne „dumme Fragen” zur Benutzung der App. Das hat bei der Weiterentwicklung geholfen und sie ist dadurch benutzerfreundlicher geworden. Was ich großartig finde ist, dass wir im Projekt alles gemeinsam entscheiden. Vom Projektstart über die Datenerfassung bis zur Veröffentlichung ist alles Teamarbeit.
Was macht dir dabei besonders Spaß?
Eva: Das tolle Miteinander! Ich bin jetzt seit fast vier Jahren dabei und Nachtlichter ist schon nach ein paar Wochen für mich wie eine Heimat geworden. Zu wissen, dass meine Meinung genauso wichtig ist wie die der anderen, ist ein ganz tolles Gefühl. Auch auf die Forschung selbst bin ich immer neugieriger geworden und ich wollte alle Schritte des langen wissenschaftlichen Prozesses bis zur Veröffentlichung kennenlernen.
Welche Erfahrungen hast du als schwerhörige Person im Projekt gemacht? Gab es Hürden, die deine Teilnahme erschwert haben?
Eva: Meine Schwerhörigkeit stand nie im Mittelpunkt. Klar, musste ich immer wieder darauf hinweisen, dass langsamer oder bei Zoom mit Blick in die Kamera gesprochen wird, damit ich die Lippen mitlesen kann. Aber ich hatte immer das Gefühl, vom ganzen Team super unterstützt zu werden, zum Beispiel wenn mir im Chat weitergeholfen wurde, wenn ich etwas nicht verstand. Natürlich hat am Anfang nicht alles reibungslos funktioniert, doch wir sind gemeinsam an den Hürden gewachsen.
Was braucht es aus deiner Sicht, damit Teilhabe von Menschen mit Behinderung an Citizen Science gelingt? Was können Projektkoordinator*innen beachten?
Eva: Zunächst einmal braucht es Verständnis auf beiden Seiten. Als Mensch mit Behinderung muss ich wissen, dass sich mein Gegenüber vielleicht noch nie mit dem Thema Barrierefreiheit beschäftigt hat, und sollte offen dafür sein, Fragen zu beantworten. Für mich ist es super wichtig zu wissen, wie ich eine Ansprechperson erreichen kann. Dafür sollten Mail-Adresse und Telefonnummer angegeben sein, damit sowohl hörbehinderte als auch sehbehinderte Menschen gut Kontakt aufnehmen können. Auch wenn technische Lösungen wie eine Rampe oder ein Aufzug wichtig sind, zählt für mich vor allem das Zwischenmenschliche und Einfühlungsvermögen, dass jemand da ist, der oder die sich bemüht, Lösungen zu finden und Unterstützung zu geben.
Welche übergeordneten Strukturen sind dafür nötig?
Eva: Es müssen ausreichende finanzielle Ressourcen für die Kommunikation mit den Teilnehmenden da sein – das gilt ganz allgemein in Citizen-Science-Projekten, aber eben besonders, wenn man Menschen mit Behinderung eine Teilnahme ermöglichen möchte. Bei Veranstaltungen können zum Beispiel Kosten für eine Dolmetscherin oder eine Begleitperson hinzukommen. Es gibt Normen zur Barrierefreiheit, die wichtig sind, zum Beispiel die DIN-Norm zur Rollstuhlgerechtigkeit (DIN 18040-1) und die Europäische Norm zur digitalen Barrierefreiheit (EN 301549). Aber Normen sind nicht alles. Es geht darum, sich in Menschen mit Behinderung hineinzuversetzen, mögliche Hürden im Voraus zu bemerken und Lösungen zu suchen.
Beim Forum Citizen Science 2024 hast du deine Erfahrungen als Bürgerwissenschaftlerin in einer Short Story geteilt. Wie hast du die Konferenz erlebt?
Eva: Am Anfang war ich noch mit meinem Teamleiter unterwegs, der mir eine große Stütze war und mich auch im Vorfeld immer wieder ermutigt hat. Ich hatte Angst, von den vielen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen vielleicht nicht ernst genommen zu werden oder ihnen nichts zu sagen zu haben. Es waren aber alle sehr nett zu mir und der Austausch hat viel Spaß gemacht. Bei meinem Vortrag war ich sehr aufgeregt und habe den Faden verloren. Dann habe ich mich daran festgehalten, dem Publikum die Gebärde für Teilhabe beizubringen. Das war ein tolles Bild, als die rund 100 Personen im Saal die Hände hochnahmen und die Gebärde mitmachten. Ich wurde danach von vielen Leuten angesprochen und habe durchweg positive Rückmeldungen bekommen.
Welche Hürden gab es bei deiner Teilnahme am Forum Citizen Science?
Eva: Es hat sehr geholfen, schon vor der Konferenz Kontakt zu euch als Organisationsteam aufzunehmen und meine Hörbehinderung und Bedarfe anzusprechen. So konnten spezielle Kopfhörer besorgt werden, über die ich auch den Keynotes und Podiumsdiskussionen folgen konnte. Für Gespräche und Workshops hatte ich ein kleines Mikrofon dabei, das von allen gut angenommen wurde und eine große Hilfe war. Trotzdem gab es Situationen, die mich überfordert haben. Bei der Auftaktveranstaltung im ehemaligen Kaufhaus Jupiter habe ich mich sehr unwohl gefühlt: es war zu laut, zu eng und für mich visuell chaotisch. Da konnte ich mich gar nicht auf ein Gespräch einlassen. An den nächsten beiden Tagen im Besenbinderhof ging es dann besser und ich konnte mich akklimatisieren. Hilfreich wäre es noch gewesen, klare Ansprechpersonen zu benennen und sichtbar zu machen, an die man sich vor Ort wenden kann, wenn man Unterstützung benötigt. Zudem hätte ich mich über einen ruhigen Raum als Rückzugsmöglichkeit gefreut.
Möchtest du der Citizen-Science-Community noch etwas mit auf den Weg geben?
Eva: Vor allem den Gedanken: Barrierefreiheit muss nicht kompliziert sein! Kleine Maßnahmen können schon einen riesigen Unterschied machen. Wichtig ist auch, sich bewusst zu machen, dass Barrierefreiheit nicht nur für „die Behinderten” gut ist. Alle tun sich leichter, wenn zum Beispiel die Akustik gut ist oder es einen Aufzug gibt – sei es für den schweren Koffer. Ein Herzensanliegen ist mir außerdem die Informationsvermittlung für blinde Menschen, die oft vernachlässigt wird. Eine tolle Inspiration in diesem Bereich ist die barrierearme Webseite von Gerhard Jaworek alias Blindnerd, der selbst blind ist und ganz toll über Astronomie schreibt. Dort kann man sich angucken, wie so eine Webseite aussehen könnte und was vielleicht im eigenen Projekt noch möglich wäre.
Ihr habt Fragen zum Barriereabbau in eurem Projekt? Per Mail an eva.c.weiss.work@gmail.com könnt ihr euch direkt an Eva Weiß wenden.