Gastbeitrag von Maria Peter: Wie beeinflussen die Projektmerkmale das Lernen?
Citizen-Science-Projekte bieten ihren Teilnehmer*innen die Möglichkeit, hinter die Kulissen von Wissenschaft zu blicken, aktiv mitzuforschen und dadurch zu lernen. Aber wie müssen die Projekte gestaltet sein, damit die Citizen Scientists von ihrer Teilnahme profitieren? Im Gastbeitrag zu unserer Blogreihe beschreibt Maria Peter, was sie und ihre Kolleg*innen von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und dem Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik in einer internationalen Befragung hierzu herausgefunden haben.
Hintergrund und Fragestellung
In einer vorangegangenen Studie haben meine Kolleg*innen und ich untersucht, wie sich die Teilnahme an Citizen-Science-Projekten generell auf die Teilnehmer*innen auswirkt. Wir fanden heraus, dass die Citizen Scientists auf vielfältige Weise von ihrer Teilnahme an den Projekten profitierten. Nach Einschätzung der Teilnehmer*innen erwarben oder vergrößerten sie zum Beispiel…
… ihr Wissen über Umwelt und Wissenschaft (z.B. Artenkenntnisse, Verständnis von biologischer Vielfalt, Verständnis wissenschaftlicher Prozesse),
… ihre wissenschaftlichen Fähigkeiten (z.B. Methoden der Datenerhebung und -analyse),
… ihre Selbstwirksamkeit in Bezug auf Wissenschaft und Umwelt,
… ihr Interesse an Umwelt- und Wissenschaftsthemen oder
… ihre Motivation für umweltbezogene und wissenschaftliche Aktivitäten.
Außerdem änderten sie ihr Verhalten gegenüber der Umwelt. Weitere Details zu den Auswirkungen auf die Teilnehmer*innen gibt es im Fachartikel in der Zeitschrift People and Nature (alle Links öffnen im gleichen Fenster!).
Daraufhin stellte sich uns die Frage, wie nun die Citizen-Science-Projekte konkret gestaltet sein müssen, damit die Teilnehmer*innen auch wirklich von ihrer Teilnahme profitieren. Da ein Zuwachs an Wissen und Fähigkeiten der Citizen Scientists zu den am häufigsten angestrebten Ergebnissen von Citizen-Science-Projekten gehört, war unser Ziel, spezifische Merkmale von Citizen-Science-Projekten zu untersuchen, die das Lernen der Teilnehmer*innen beeinflussen könnten. Hierzu gab es bisher kaum wissenschaftliche Studien. Wir untersuchten also den Einfluss der folgenden Projektmerkmale auf das Lernen der Teilnehmer*innen:
- Informationen, die die Teilnehmer*innen vom Projekt erhalten haben,
- Schulungen, an denen die Teilnehmer*innen teilgenommen haben,
- Möglichkeiten zur sozialen Interaktion zwischen den Teilnehmer*innen,
- Kontakt zwischen Teilnehmer*innen und Projektmitarbeiter*innen sowie
- Feedback und Anerkennung, die die Teilnehmer*innen erhalten haben.
Wissen und Fähigkeiten wurden von Tina Phillips und Kolleg*innen (2018) dabei wie folgt definiert:
- Wissen: Kenntnisse über wissenschaftliche Inhalte (d. h. Verständnis des Themas) und das Wesen der Wissenschaft, Verständnis des wissenschaftlichen Prozesses und der Art und Weise, wie Wissenschaft betrieben wird.
- Fähigkeiten: Wissenschaftliche Fertigkeiten wie Fragen stellen, Studien planen, Daten sammeln, analysieren und interpretieren, experimentieren, argumentieren, synthetisieren, Technologien nutzen, kommunizieren und kritisch denken.
Wir haben uns auf diese Definitionen bezogen und sie verwendet.
Das Vorgehen
Um herauszufinden, wie die fünf Projektmerkmale mit dem Zuwachs an Wissen und Fähigkeiten der Teilnehmer*innen zusammenhängen, haben wir eine umfangreiche internationale Studie durchgeführt. In dieser Studie wollten wir sowohl die Perspektive der Projektteilnehmer*innen als auch die der Projektkoordinator*innen kennenlernen. Unsere Studie umfasste somit zwei Befragungen in Form von Online-Fragebögen:
- In der ersten Umfrage befragten wir mehr als 1000 Teilnehmer*innen von Citizen-Science-Projekten nach ihren Erfahrungen. Die Teilnehmer*innen kamen aus 48 Projekten in Europa und Australien. Diese Umfrage richtete sich an Erwachsene, die als Freiwillige an Citizen-Science-Projekten teilnahmen. Ziel dieser Umfrage war es, Informationen über die Projektmerkmale aus Sicht der Teilnehmer*innen zu erhalten.
- Die zweite Befragung richtete sich an die Koordinator*innen bzw. Mitarbeiter*innen der 48 Citizen-Science-Projekte. Ziel der Befragung war es, umfassende und detaillierte Informationen über die Projekte und deren Gestaltung und Durchführung zu erhalten.
Abbildung 1: Beispielfrage aus dem Fragebogen für Projektteilnehmer*innen.
Abbildung 2: Beispielfrage aus dem Fragebogen für Projektteilnehmer*innen.
Bei den 48 untersuchten Projekten handelte es sich um Citizen-Science-Projekte, die sich mit Biodiversität beschäftigen. Diese Projekte fanden in zehn verschiedenen Ländern statt, unter anderem in Großbritannien (15 Projekte), Australien (10), Österreich (7) und Deutschland (5). Projekte waren zum Beispiel "Garden Bird Watch" und "Breeding Bird Survey" (Großbritannien), "Wild Pollinator Count" (Australien), "Kerbtier.de" und "NABU|naturgucker" (Deutschland), "Schmetterlinge Österreichs" (Österreich), "NaturTjek" (Dänemark), "Irish Garden Bird Survey" (Irland), und "Meetnet Vlinder" (Niederlande). Weitere Infos zu den Projekten und den Teilnehmer*innen gibt es im Artikel. Eine vollständige Liste der 48 Projekte, die sich an unserer Studie beteiligt haben, befindet sich im Anhang zum Artikel.
Die Ergebnisse
Wir fanden heraus, dass es in der Tat Zusammenhänge zwischen den fünf untersuchten Projektmerkmalen und dem angegebenen Zuwachs an Wissen und Fähigkeiten gab. Hier eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse (weitere Details finden sich hier):
- Informationen, die die Teilnehmer*innen vom Projekt erhalten hatten: Teilnehmer*innen, die mehr Informationen erhielten, berichteten einen höheren Zuwachs an Wissen und Fähigkeiten. Dies waren z.B. Informationen über den wissenschaftlichen Hintergrund, die Ziele und Ergebnisse des Projekts, die Arten auf die sich das Projekt konzentrierte, sowie Informationen über Möglichkeiten, sich außerhalb des Projekts an Naturschutzaktivitäten zu beteiligen.
- Schulungen, an denen die Teilnehmer*innen teilgenommen hatten: Teilnehmer*innen, die mehr praktische Schulungen vor Ort oder Multimedia-Schulungen erhielten, berichteten über einen höheren Zuwachs an Wissen und Fähigkeiten. Die Menge an schriftlichem Schulungsmaterial hingegen schien keinen Einfluss auf den Zuwachs an Wissen und Fähigkeiten zu haben.
- Möglichkeiten zur sozialen Interaktion zwischen den Teilnehmer*innen: Teilnehmer*innen, die mehr mit anderen Projektteilnehmer*innen interagierten (persönlich, telefonisch oder online), berichteten über einen höheren Zuwachs an Wissen und Fähigkeiten. Außerdem berichteten Teilnehmer*innen, die bei der Datenerhebung für das Projekt mit anderen zusammenarbeiteten, über einen höheren Zuwachs an Fähigkeiten.
- Kontakt zwischen Teilnehmer*innen und Projektmitarbeiter*innen: Teilnehmer*innen, die mehr Kontakt zu Projektmitarbeiter*innen und -wissenschaftler*innen hatten, berichteten über einen höheren Zuwachs an Wissen und Fähigkeiten.
- Feedback und Anerkennung, die die Teilnehmer*innen erhalten hatten: Teilnehmer*innen, die häufiger individuelles Feedback erhielten (z.B. ob sie eine Art korrekt bestimmt hatten), berichteten über einen höheren Zuwachs an Wissen und Fähigkeiten. Teilnehmer*innen, die eine Art von Anerkennung erhielten, berichteten ebenfalls einen höheren Zuwachs an Wissen und Fähigkeiten als Teilnehmer*innen, die keinerlei Anerkennung erhielten. Dieser positive Zusammenhang zeigte sich vor allem für positives Feedback als Form der Anerkennung. Für andere Formen der Anerkennung schien es keine Zusammenhänge zum Wissens- und Fähigkeitszuwachs zu geben.
Allerdings deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass die den Wissenszuwachs begünstigenden Faktoren nicht immer vorliegen. So findet zum Beispiel die soziale Interaktion in Citizen-Science-Projekten nicht unbedingt automatisch statt. Die Mehrheit der befragten Projektteilnehmer*innen gab an, bisher keinen Kontakt zu anderen Teilnehmer*innen gehabt zu haben. Ebenso gaben die meisten an, bei der Datenaufnahme allein zu arbeiten.
Ähnlich sieht es bei dem Kontakt zwischen Projektteilnehmer*innen und -mitarbeiter*innen aus. Die Mehrheit der befragten Teilnehmer*innen gab an, dass sie keinen oder nur wenig Kontakt zu den Mitarbeiter*innen hatten und dass sie auch die Projektwissenschaftler*innen noch nie persönlich getroffen hatten.
Citizen-Science-Projekte müssten daher bewusster auf soziale Interaktion achten und sie fördern. Wenn die Projekte so gestaltet wären, dass sie die Interaktion zwischen Teilnehmer*innen, Mitarbeiter*innen und Wissenschaftler*innen fördern, dann könnten diese Projekte möglicherweise größere Lernerfolge bei ihren Teilnehmer*innen erreichen.
Wie kann das in der Praxis aussehen? Zum Beispiel…
… indem Projekte ihre Teilnehmer*innen dazu ermuntern, Daten nicht allein zu sammeln, sondern in Teams oder paarweise;
…indem Projekte die Möglichkeit schaffen, dass Teilnehmer*innen gegenseitig die erhobenen Daten überprüfen, z.B. ob Arten korrekt bestimmt wurden;
… indem Projekte regelmäßig soziale Aktivitäten anbieten, die sich an eine bestimmte Zielgruppe, z.B. Familien, richten;
… indem Projekte regelmäßige Aktivitäten anbieten, die Gelegenheiten zum persönlichen Austausch zwischen Projektteilnehmer*innen und -wissenschaftler*innen bieten.
Der Ausblick
In der Praxis stellt sich natürlich die Frage, wie Citizen-Science-Projekte auch mit beschränkten zeitlichen und finanziellen Ressourcen so gestaltet werden können, dass sie gute wissenschaftliche Ergebnisse liefern und gleichzeitig Lernerfolge bei ihren Teilnehmer*innen erreichen. Hierzu wäre eine Dokumentation von Erfahrungen, Best-Practice-Beispielen und 'Lessons learned' wertvoll.
Weitere Ergebnisse aus der Forschung sind ebenfalls notwendig. Da es bisher kaum Studien zu dem Zusammenhang von Projektmerkmalen und Lernerfolgen bei den Teilnehmer*innen gibt, besteht ein großer Bedarf an verschiedenen Studien, zum Beispiel zu…
… dem Zusammenhang zwischen Projektmerkmalen und weiteren Auswirkungen auf die Teilnehmer*innen wie z.B. eine Zunahme von Interesse, Motivation oder Selbstwirksamkeit, eine Änderung des Verhaltens, etc.
… dem Zusammenhang zwischen weiteren Merkmalen von Citizen-Science-Projekten - z.B. Schwierigkeitsgrad der Projektaktivitäten, zur Verfügung stehenden Stufen oder Ebenen der Beteiligung, Zugänglichkeit der im Projekt gesammelten Daten für die Projektteilnehmer*innen, etc. - und Lernerfolgen bei Teilnehmer*innen
In den nächsten Monaten beschäftigen meine Kolleg*innen und ich uns mit der weiterführenden Frage, welche Rolle Citizen-Science-Projekte in der Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung spielen. Hierzu soll es eine Spezialausgabe der Zeitschrift Sustainability geben: Citizen Science and its Role in Education for Sustainable Development.
Literatur
Diese Studie:
- Peter M, Diekötter T, Kremer K, Höffler T (2021) Citizen science project characteristics: Connection to participants’ gains in knowledge and skills. PLoS ONE 16(7): e0253692. doi: 10.1371/journal.pone.0253692
Weitere Literatur:
- Edelson DC, Kirn SL, Workshop Participants (2018) Designing Citizen Science for Both Science and Education. A Workshop Report. Technical Report No. 2018-01. Colorado Springs: BSCS Science Learning
- Peter M, Diekötter T, Höffler T, Kremer K (2021) Biodiversity citizen science: Outcomes for the participating citizens. People and Nature; 3: 294–311. doi: 10.1002/pan3.10193
- Phillips T, Porticella N, Constas M, Bonney R. (2018) A Framework for Articulating and Measuring Individual Learning Outcomes from Participation. Citizen Science: Theory and Practice; 3: 3. doi: 10.5334/cstp.126
- Shirk JL, Ballard HL, Wilderman CC, Phillips T, Wiggins A, Jordan R, et al. (2012) Public Participation in Scientific Research. A Framework for Deliberate Design. Ecology and Society; 17: 29. doi: 10.5751/ES-04705-170229