Direkt zum Inhalt
mit:forschen!

Die Plattform für Citizen-Science-Projekte aus Deutschland: Mitforschen, präsentieren, informieren!

Fragen für die Zukunft der Citizen Science: Alter Hase trifft Newbie

Die Wege in den Bereich Citizen Science sind so vielfältig wie die Menschen, Disziplinen und Methoden. Sarah Kiefer (Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, Leibniz-IGB), seit knapp 10 Jahren in den Bürgerwissenschaften unterwegs, und Felix Langer (Verbraucherzentrale NRW), seit einem dreiviertel Jahr dabei, tauschen sich anlässlich des Plattform-Jubiläums zu ihren Erfahrungen und der Entwicklung der Community aus. 

Felix: Hallo Sarah, schön, dich kennen zu lernen!

Sarah: Hallo Felix, ich freue mich auch!

Felix: Wollen wir zum Einstieg, erstmal kurz sagen, wer wir sind und wie wir zu Citizen Science gekommen sind? Und willst du als „alter Hase” vielleicht damit anfangen?

Sarah: Gerne. Ich bin auch schon ganz neugierig, weil die Wege in den Bereich Citizen Science ja so unterschiedlich sind. Also, ich bin schon eine ganze Weile unterwegs mit Citizen Science, nämlich seit 2015. Ich bin studierte Verhaltensbiologin und habe in dem Feld auch promoviert. Dann habe ich aber gemerkt, dass ich eher Richtung Projektmanagement oder -organisation gehen will, und nicht in die klassische akademische Forschung. Über eine Stellenanzeige am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) bin ich in den Bereich Citizen Science gerutscht. Die machten damals sehr viel zu Stadtökologie und es war eine Stelle für die Koordination in einem interdisziplinären Biodiversitätsprojekt ausgeschrieben, die ich angetreten habe. Seitdem bin ich in der Citizen-Science-Welt zuhause. In meiner Anfangszeit haben wir am IZW schöne Projekte rund um Igel, Fuchs und Wildschwein gemacht – dafür war es auch einfach, Leute zu gewinnen. Ein echter Luxus, wie ich in manchen späteren Projekten gelernt habe. Aber erzähl du doch mal, du bist ja in einer ganz anderen Ecke unterwegs, oder?

Felix: Ja genau, wenn man so will, bin ich quasi auf der gegenüberliegenden Seite gelandet, bei der Social Citizen Science. Ich habe Ernährungswissenschaften studiert und habe dabei ein Modul zu transdisziplinärer Nachhaltigkeitsforschung belegt. Dort haben wir alles Mögliche an Forschungsmethoden kennengelernt und sollten ein partizipatives Forschungsprojekt gestalten – das war mein erster Kontakt mit Reallaboren und Citizen Science. Nach meinem Abschluss habe ich dann auch über eine Stellenanzeige in den Bereich gefunden und arbeite jetzt für die Verbraucherzentrale NRW, also nicht für eine klassische Forschungseinrichtung. Das ist ja auch nochmal ein bisschen was anderes, aber eben total wichtig, da wir einen direkteren Kontakt zu Verbraucher*innen haben. An der Verbraucherzentrale NRW setzen wir gemeinsam mit der HHU Düsseldorf im Projekt MehrWertRevier verschiedene Forschungsvorhaben im Bereich nachhaltiger Konsum um und forschen dabei intensiv zusammen mit einer kleinen Gruppe an Menschen.

Sarah: Super spannend! Da will ich gleich dazwischen fragen, was du meinst, wenn du von einer kleinen Gruppe sprichst?

Felix: Bei unseren Projekten nehmen etwa 15 bis 20 Bürger*innen teil. Wir haben also im Vergleich zu Biodiversitätsprojekten eher wenige Teilnehmende, würde ich sagen. Aber das ist für uns eine Gruppengröße, mit der wir total gut arbeiten können. Alle kennen sich untereinander und wir haben ein schönes Vertrauensverhältnis.

Sarah: Häufig ist es in Citizen-Science-Projekten ja so, dass sich einige wenige Menschen sehr stark einbringen. Die sind oft intrinsisch motiviert, mitzuwirken, weil sie sich besonders vom Thema betroffen fühlen. Das ist bei Projekten wie deinen vermute ich auch besonders wichtig, weil die Teilnehmenden intensiv eingebunden sind und entsprechend auch mehr Zeit investieren, als zum Beispiel bei unserem Projekt Stadtwildtiere, wo viele Teilnehmende Wildtiersichtungen in der Stadt melden, aber der Einsatz des Einzelnen im Vergleich relativ klein ist.

Felix: Genau. In dem halben Jahr, das ich jetzt dabei bin, habe ich auch schon mitbekommen, dass es total unterschiedlich ist, wie sehr die Bürger*innen eingebunden sein möchten in so einem Forschungsprojekt. Manche möchten vielleicht einfach den Igel, den sie im Garten entdeckt haben, melden und das reicht ihnen, andere wollen total gerne statistische Auswertungen machen und greifen uns mit ihrem eigenen Statistikprogramm unter die Arme. Das ist total cool und bereichernd!

Sarah: Da ist es fast egal, wie lange man dabei ist, man merkt sehr schnell, dass es ganz unterschiedliche Interessen bei den Teilnehmenden gibt. Wenn man die Ressourcen dazu hat, kann man das Projekt natürlich so aufstellen, dass verschiedene Arten des Mitforschens möglich sind. Meistens muss man aber eben einen Fokus setzen. Übrigens ist es auch in Biodiversitätsprojekten nicht immer so, dass es viele Teilnehmende gibt. Für Insekten ist es zum Beispiel deutlich schwieriger, Begeisterung zu wecken, als für Füchse. Mit meiner Kollegin Sophia Kimmig koordiniere ich das Projekt Artenschutz durch umweltverträgliche Beleuchtung. Dabei brauchen wir Menschen, die uns helfen, Insekten zu bestimmen – das ist so speziell und auch schwierig, dass wir nur wenige Citizen Scientists haben, die das aber sehr intensiv machen. Das ist für das Projekt aber auch ausreichend.

Felix: Ist Citizen Science mit einer kleinen Gruppe an Teilnehmenden für dich also auch noch einmal eine neue Perspektive und Erfahrung gewesen?

Sarah: Ja, absolut. In meiner Zeit im Citizen-Science-Bereich ist mir immer wieder Neues begegnet und man hat dazu gelernt. Ich habe mich gefragt, wie das bei deinem Einstieg in den Bereich im letzten Sommer war. Hattest du Menschen, an die du dich mit deinen Fragen wenden konntest oder hast du vielleicht Angebote und Handreichungen von Plattformen wie mit:forschen! nutzen können?

Felix: Zum Glück gibt es mittlerweile viel Literatur zum Thema und man kann sich gut einlesen. Außerdem habe ich im Herbst bei den Trainingsworkshops von mit:forschen! mitgemacht, das war sehr hilfreich. Im November war ich dann gleich beim Forum Citizen Science in Freiburg dabei. Das fand ich total bereichernd, so viele Leute zu treffen, die ähnliche Dinge machen und sich mit den gleichen Themen beschäftigen. Citizen Science Zürich bietet das Format Methoden am Montag an, das kann ich sehr empfehlen. Es gibt schon relativ viele Angebote, die man nutzen kann um sich einzuarbeiten, aber als Neuling ist es natürlich trotzdem erstmal herausfordernd, mit den vielen Dingen, die so ein Projekt mit sich bringt, klarzukommen.

Sarah: Was sind denn für dich die größten Herausforderungen in deinen Projekten?

Felix: Gerade in ko-kreativen Projekten wie unseren finde ich es sehr herausfordernd, die richtige Mischung zu finden aus einer offenen Gestaltung des Prozesses und gleichzeitig einer zielführenden Arbeit an der Fragestellung gemeinsam mit den Bürger*innen. Ich will ja nicht mit einem vorgefertigten Ergebnis reingehen, sondern offen sein für Neues und vielleicht auch Unerwartetes. Den richtigen Grad zwischen Offenheit und Geschlossenheit zu treffen ist da manchmal schwierig.

Sarah: Das glaube ich! Heute gibt es zwar im Gegensatz zu vor 20 Jahren Förderlinien für Citizen Science, aber diese schränken die Prozessoffenheit auch oft ein. Bei vielen Ausschreibungen muss man von vornherein z.B. einen Zeitplan und Fragestellungen festlegen, sodass man, wenn das Projekt bewilligt wird, als Koordinatorin gar nicht mehr so frei und spontan in der Gestaltung ist, wie man es gerne wäre. Das ist natürlich gerade bei ko-kreativen Projekten eine große Herausforderung. Da bin ich gespannt, ob sich das in Zukunft noch ändert. Im Moment habe ich das Gefühl, es bewegt sich schon viel in der Forschungslandschaft und das Bewusstsein, dass es für aktuelle Krisen transdisziplinäre Forschung braucht, steigt. Auch Citizen Science ist viel akzeptierter als früher.

Felix: Konntest du auch beobachten, ob sich Bedenken bezüglich der Datenqualität aufgelöst haben?

Sarah: Da bin ich mir gar nicht sicher, ob das besser geworden ist, das war natürlich immer ein Kritikpunkt. Dabei ist es doch egal, ob man partizipativ forscht oder nicht, man muss es eben gut machen. Inzwischen gibt es auch viele Tools und Möglichkeiten, die Datenqualität sicherzustellen und Ergebnisse aus Citizen-Science-Projekten werden peer-reviewed, teils in hochrangigen Journalen, publiziert.

Felix: Das ist toll! Wenn du jetzt mal zurückblickst auf deine Citizen-Science-Laufbahn, erinnerst du dich da an einen besonders schönen Moment?

Sarah: Ja! Ich erinnere mich an einen Moment in der Pilotphase eines Citizen-Science-Projekts, das später Forschungsfall Nachtigall hieß. Dafür habe ich Freunde und Freundinnen gefragt, ob sie sich nicht vorstellen könnten, nachts spazieren zu gehen und Nachtigallen aufzunehmen. Die meisten wussten gar nicht, wie eine Nachtigall überhaupt klingt, aber einige haben es versucht und schnell gelernt. Eine Freundin hat mir dann geschrieben: Sarah, ich habe eine ganz neue Welt für mich entdeckt! Das war für mich wirklich schön. Generell freue ich mich auch immer, wenn wir es schaffen, den Menschen bewusst zu machen, dass die Biodiversitätskrise nicht nur ein kleines, sondern ein riesiges Problem ist. Was sind für dich denn die schönen Momente?

Felix: Wir hatten kürzlich einen Auftaktworkshop zu unserem neuen Projekt, wo es um nachhaltige Mobilität in den Dörfern um den Tagebau Garzweiler II geht. Wir sind noch offen in der Themenfindung und haben bei diesem Treffen gebrainstormed, welche Forschungsfragen die Einwohner*innen interessieren. Da kam von den Teilnehmenden sehr viel Wertschätzung dafür zum Ausdruck, dass sie eingebunden und endlich auch mal gefragt wurden, was sie beschäftigt und wo die Probleme vor Ort genau liegen. Alle waren sehr motiviert, die Lebensqualität in den Dörfern zu verbessern und sie auch für neueLeute wieder attraktiver zu machen, das fand ich sehr schön. Wie nimmst du die Citizen-Science-Community denn wahr? Ich bin ja noch relativ neu und fühle mich total gut aufgenommen, aber wie war das für dich am Anfang?

Sarah: In meiner Anfangszeit war das noch eine ganz neue Bewegung. Ich war auch bei den ersten Ausgaben der ECSA-Konferenzen und des Forum Citizen Science dabei. Da war es sehr schön, zu sehen, was für ein lebendiges, interdisziplinäres und wenig hierarchisches Netzwerk das ist. In den letzten Jahren hatte ich in meinen Projekten leider keine ausreichenden Reisemittel mehr, um zu Konferenzen zu fahren, aber dieses Netzwerk steht trotzdem für mich. Ich weiß genau, an wen ich mich mit meinen Fragen wenden kann und die Verknüpfung in Deutschland, aber auch nach Österreich und in die Schweiz, funktioniert sehr gut.

Felix: Was würdest du mir als Neuling mit deiner Erfahrung denn noch mit auf den Weg geben? 

Sarah: Ich habe den Eindruck, du brauchst gar nicht mehr viel und hast dir das Handwerkszeug schon abgeholt. Mein Tipp ist einfach, dich weiter zu vernetzen und von den Erfahrungen anderer im Citizen-Science-Bereich zu lernen, wie du das ja auch schon tust. Und wenn man vor Herausforderungen im eigenen Projekt steht, nicht davor zurückzuschrecken, andere zu fragen, die bereits Ähnliches umgesetzt haben. Gibt es denn noch etwas, was du dir wünschen würdest?

Felix: Da gibt es tatsächlich etwas, was mir total helfen würde, nämlich eine Sammlung an  Forschungsmethoden, mit Tipps, wie man diese gut gemeinsam mit Bürger*innen umsetzen kann. Wie gestalte ich partizipativ einen Fragebogen? Wie kann ich Bürger*innen darin schulen, selbst Interviews zu führen?... Und dazu vielleicht noch einen Austausch mit anderen, die die gleiche Methodik verwendet haben. Was wünschst du denn mit:forschen! für die nächsten zehn Jahre?

Sarah: Vor allem endlich eine stabile Finanzierung und Verstetigung. Die Plattform ist einfach so wichtig für die Citizen-Science-Community in Deutschland. Ansonsten würde ich sagen: Weiter so! Workshops anbieten, die Entwicklung des Feldes beobachten und dazu publizieren, das Netzwerk mit den Arbeitsgruppen erhalten und erweitern und auf die Bedarfe der Community mit neuen Angeboten reagieren. Und ich wünsche natürlich einen schönen Geburtstag!

Felix: Dem kann ich mich nur anschließen. Alles Gute zum Geburtstag!


Dieser Beitrag ist Teil unserer Jubiläums-Blogreihe „Fragen für die Zukunft der Citizen Science". Hier geht es zur Übersicht der Blogreihe.

Fabienne Wehrle

Fabienne ist Projektmanagerin und Online-Redakteurin. Sie betreut die Plattform, kümmert sich um die Social-Media-Kanäle und ist für die Kommunikation rund um mit:forschen! Gemeinsam Wissen schaffen zuständig.