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„Bürgerwissenschaften sollen zu einer selbstverständlichen Methode der Forschung werden“

Foto: Dom J / Pexels

Frau Overbeck, Citizen Science oder Bürgerforschung erfährt im BMBF gerade sehr viel Aufmerksamkeit. Forschungsministerin Karliczek unterstrich vor kurzem die Bedeutung der Bürgerwissenschaften für eine gemeinsame Zukunftsgestaltung, jetzt hat das BMBF eine neue Förderrichtlinie für Citizen-Science-Projekte veröffentlicht.

Wie viel Zukunft steckt denn für das BMBF in Citizen Science? Und was erhoffen Sie sich von dieser Investition in die Bürgerforschung?

Zukunft steckt für uns in Citizen Science vor allem in dem, was die Basis der Bürgerforschung ist, nämlich die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Es gibt wenige Bereiche bei denen Partizipation so exemplarisch und so beispielhaft durchgeführt wird wie bei den Bürgerwissenschaften. Bürgerforschung ist für uns qualitativ hochwertige Forschung. Gleichzeitig kann die Wissenschaftsmündigkeit der Bürger gefördert werden, also das Verständnis, was Wissenschaft ausmacht, was eine wissenschaftliche Fragestellung ist und wie Wissenschaft überhaupt funktioniert. Auf der anderen Seite bekommt die Wissenschaft Impulse für die Weiterentwicklung ihrer Fragestellungen und profitiert vom Wissen der Vielen. 

In diesem Kernbereich steckt –  und deswegen fördern wir das auch – sehr viel Innovationspotenzial. Aber auch eine steile Lernkurve, an der wir weiterarbeiten müssen. Da geht es um die Frage: Wie macht man gute Bürgerforschung? Gerade auf Seiten der Wissenschaft gibt es noch Skepsis: zu teuer, zu umständlich, zu ungenau. Unser Ziel ist, über die Förderung immer mehr Best-Practice-Vorbilder zu schaffen, um wissenschaftliche Standards zu etablieren und das Wissen der Vielen auch tatsächlich für die Gesellschaft verfügbar zu machen. 

Die erste Förderlinie war inhaltlich sehr offen, die geförderten Projekte thematisch breit gefächert. Wie sieht es dieses Mal aus?

Wir haben ein paar Themen angeteasert wie Umwelt, Nachhaltigkeit, Arbeit und Wirtschaft, Energie, Mobilität, Kultur und Bildung - aber das ist so breit gefächert, dass sich alle Fachbereiche bewerben können. Unsere Förderung soll vor allem die Methode Citizen Science stärken, und diese Methode kann für ganz unterschiedliche Bereiche ertragreich sein. Hier wollen wir den Forscherinnen und Forschern bzw. den Bürgerinnen und Bürgern keine Grenzen setzen, sondern freuen uns auf spannende Anträge aus unterschiedlichen Bereichen. 

Gibt es denn in der aktuellen Ausschreibung Veränderungen im Vergleich zur ersten Förderlinie, auch im Sinne von “lessons learned”?

Ja, unbedingt. Zum einen haben wir gelernt, dass bürgerschaftliche Projekte Anlaufzeiten brauchen: bis man die Bürgerinnen und Bürger gefunden hat, bis man Strukturen aufgebaut hat, bis man eine gemeinsame Sprache gefunden hat, bis die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wissen, wie sie solche Projekte am besten aufziehen. Um dem Rechnung zu tragen, haben wir den Förderzeitraum um ein Jahr verlängert. Außerdem sind diesmal auch Nichtregierungsorganisationen berechtigt, sowohl das Projekt zu koordinieren als auch den Antrag zu stellen. Das ist uns sehr wichtig. 

In der letzten Förderlinie musste es eine wissenschaftliche Einrichtung sein, die den Antrag gestellt hat....

Genau, die mussten im Lead sein. Es ist auch weiterhin so, dass einer der Projektpartner eine wissenschaftliche Organisation sein muss. Wir sind ja als BMBF in der Pflicht, die Bürgerwissenschaften im Wissenschaftssystem weiter zu stärken. Aber: Erstantragsteller kann jetzt auch ein Verband oder ähnliches sein, der zum Beispiel Erfahrungen im Bereich Bürgerforschung oder nachhaltige Entwicklung mitbringt. Es gibt viele Organisationen, die traditionell schon sehr lange, sehr erfolgreich in diesen Bereichen arbeiten. Sie können Inspiration geben und als Good-Practice-Beispiele für andere Themenfelder zeigen, wie Forschung von Bürgern für Bürger gelingen kann. Diese Einrichtungen wollen wir gerne mit der institutionellen Forschung zusammenbringen. 

Müssen denn die wissenschaftlichen Institutionen auch einen Partner aus der Zivilgesellschaft haben?

Das ist als ein starkes Wunschkriterium in der Förderlinie genannt. Es ist aber keine Pflicht, auch deshalb, weil es in bestimmten Bereichen nicht für jede Forschungsfrage ein organisiertes Gegenüber gibt. Wenn es aber Fragestellungen gibt, zum Beispiel im Bereich Patient Science, die von der Zusammenarbeit mit den Bürgern sehr stark profitieren, die aber kein organisiertes Gegenüber haben, dann schließen wir diese nicht aus.

Sie haben jetzt die Beteiligung der Verbünde an den Projekten genannt, gibt es weitere Kriterien, die dem BMBF wichtig sind?

Worauf wir dieses Mal großen Wert legen werden, ist Nachhaltigkeit im Sinne einer Perspektive für die Projekte für die Zeit nach der Förderung. Die Antragsteller müssen sich dazu äußern, wie sie Bürgerwissenschaft langfristig in ihren Institutionen verankern wollen. Da ist es ein großes Plus, wenn man gleich im Verbund arbeitet oder mit Partnern kooperiert, wie außerschulischen Bildungseinrichtungen. Ein weiteres Kriterium: Kommunikation! Die Strahlkraft der Projekte ist uns wichtig. Es soll möglichst viel und intensiv nach außen kommuniziert werden. Denn das wollen wir auch mit der Förderung erreichen, dass mehr Leute sehen können, Bürgerforschung bringt tolle Ergebnisse, Bürgerforschung ist nicht so kompliziert, wie man glaubt.

Für die Förderquote der ersten Förderlinie hat das BMBF sehr viel Kritik eingesteckt. Von über 300 Einreichungen wurden nur 13 Projekte gefördert. Wie stehen die Chancen dieses Mal? 

Wir gehen davon aus, dass die Förderlinie auch dieses Mal ein sehr großes Interesse hervorrufen wird. Das Fördervolumen wurde im Vergleich zur ersten Richtlinie auf 9 Millionen Euro über 4 Jahre erhöht – wie viele Projekte insgesamt gefördert werden können, hängt von den beantragten Fördersummen ab. Wichtig ist, dass wir das Verfahren zur Antragstellung geändert haben. Dieses wird dreistufig sein. Im ersten Schritt wird um das Einreichen einer dreiseitigen Kurzskizze gebeten. Erst in einem zweiten Schritt rufen wir zur Abgabe einer Vollskizze auf, so dass der Aufwand in einem angemessenen Verhältnis zur Förderquote stehen wird. Der letzte Schritt beinhaltet dann die Stellung des förmlichen Förderantrages über „easy-Online“. 

Wie bei der ersten Förderlinie soll es auch jetzt vor allem darum gehen, die Methode Citizen Science zu stärken. Welche Bilanz können Sie aus der ersten Förderlinie ziehen? 

Die Projekte der jetzigen Förderlinie zeigen sehr deutlich, dass der Schlüssel zu erfolgreicher Beteiligung der zielgerechte Einsatz dieser Zusammenarbeit ist. Man kann nicht sagen, die eine Form der Bürgerforschung ist per se wertiger als die andere. Man muss die richtige Methode für die richtige Fragestellung finden und sich dafür am besten auch Unterstützung aus anderen Fachbereichen suchen, um zu überlegen: Was ist denn für meine Forschungsfrage die wissenschaftliche und partizipative Methode, die für mich am ertragreichsten ist? Hier gilt es die Forschung über Bürgerforschung, also die Science of Citizen Science, weiter zu stärken. Wir planen daher der neuen Förderrichtlinie eine Evaluation zur Seite zu stellen. 

Was ist Ihre Vision für 2024? Wo stehen die Bürgerwissenschaften dann?

Für uns ist es zentral, dass Bürgerwissenschaften zu einer selbstverständlichen Methode für Forschung werden. Ich denke, da sind wir auf einem guten Weg und da passiert auch schon ganz viel: Die Helmholtz-Gemeinschaft hat dieses Jahr die erste Förderlinie für Citizen Science aufgebaut. Die Leibniz-Gemeinschaft hat eine AG Citizen Science mit mehr als 20 Instituten und vielen Projekten. Wir hoffen, mit einer so prominenten Förderung und der begleitenden Evaluation, diesen Trend zu verstetigen und zu verstärken.

Hier geht es zur neuen Förderrichtlinie

Wiebke Brink

Wiebke Brink ist Projektleiterin von mit:forschen! Gemeinsam Wissen schaffen. Sie setzt sich seit mehr als zehn Jahren in verschiedenen Projekten und Kontexten mit den Themen Partizipation und Kommunikation auseinander.