Wissen der Vielen – Forschungspreis: Preisträger*innen 2024
Bereits zum zweiten Mal hat mit:forschen! partizipativ Forschende für ihre herausragenden Leistungen mit dem Wissen der Vielen – Forschungspreis für Citizen Science ausgezeichnet. Die Preisträger*innen erhalten 20.000 Euro für den ersten Platz, 10.000 Euro für den zweiten Platz und 5.000 Euro für den dritten Platz. Die feierliche Verleihung fand im Rahmen des Forum Citizen Science statt.
Unsere Jury aus Professor*innen entschied sich für drei Publikationen, die in ganz unterschiedlichen Disziplinen Exzellenz in der Citizen Science und Partizipation spiegeln. Gemeinsam ist ihnen jedoch der hohe Grad der Mitwirkung in den zugrundeliegenden Projekten. Die vertretenen Bereiche Naturschutz, Sozialforschung und Geschichtswissenschaften stechen seit einigen Jahren mit besonders innovativen Projekten hervor. Die Preisträger*innen und ihre Teams haben dank der Beteiligung freiwillig Engagierter exzellente Forschungsergebnisse erzielt. Diese haben das Potenzial, den Schutz von kleinen Gewässern, digitale Sorge-Strukturen für ältere Menschen und das Wissen über Schifffahrt, Militärstrategien und Kommunikationswege des Römischen Reiches zu verbessern.
1. Platz: Julia von Gönner, Helmholtz Zentrum für Umweltforschung - UFZ, Friedrich Schiller Universität Jena, Deutsches Zentrum für Integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Den Preis für den ersten Platz gewinnt die Biologin Julia von Gönner stellvertretend für das Autor*innen-Team der Publikation „Citizen science shows that small agricultural streams in Germany are in a poor ecological status”. Sie erschien im April im Journal Science of the Total Environment. Die prämierte Forschungsarbeit zeigt in besonderem Maße den Mehrwert von Citizen Science im Naturschutz auf.
Das Werk analysiert die Ergebnisse des bundesweiten Projektes Flow, bei dem in Deutschland seit 2021 über 900 Citizen Scientists beteiligt waren, den ökologischen Zustand von kleinen Bächen zu untersuchen. Die Freiwilligen bewerteten die Gewässerstruktur, führten chemische Messungen durch und bestimmten im Wasser lebende, wirbellose Tiere mit Hilfe analoger und digitaler Bestimmungshilfen. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass 58 Prozent der über hundert Bäche, die mithilfe von Schüler*innen und Verbänden untersucht wurden, eine erhebliche Belastung durch Pflanzenschutzmittel und eine verarmte Gewässerstruktur aufweisen. Die Ergebnisse füllen eine Forschungslücke, da ein Großteil der kleinen Bäche in Deutschland bisher nicht oder nur unzureichend von den gängigen Überwachungsmaßnahmen erfasst wird. Das Projekt und die Ergebnisse verbessern das Wissen über den ökologischen Zustand der Bäche und liefern damit eine Grundlage, um gemeinsam mit Bürger*innen und Akteuren vor Ort Gewässer-Schutzmaßnahmen zu planen und umzusetzen. Dies ist ein wichtiger Baustein, um die EU Wasserrahmenrichtlinie und das EU Nature Restoration Law als internationale Abkommen zur Wiederherstellung beschädigter Ökosysteme in Deutschland umzusetzen.
2. Platz: Tanja Aal, Lehrstuhl Wirtschaftsinformatik, insb. IT für die alternde Gesellschaft, Universität Siegen
Den zweiten Platz belegt die Sozio-Informatikerin Tanja Aal stellvertretend für das Autor*innen-Team der Publikation „CareConnection – A Digital Caring Community Platform to Overcome Barriers of Asking for, Accepting and Giving Help”. Diese Arbeit beschreibt die Forschung und Entwicklung einer Online-Plattform zu sorgenden Gemeinschaften zusammen mit Wissenschaftler*innen der Fachhochschule Bern und erschien als Artikel in einem Tagungsband der Mensch und Computer 2023. Der partizipative Ansatz der Studie macht deutlich, wie Citizen-Science-Konzepte erfolgreich in Medizin und Pflege eingesetzt werden.
Die „CareConnection”-Plattform wurde mit einem Community-Design-Ansatz und nach Prinzipien der partizipativen Forschung (Reallabor, partizipative Aktionsforschung) entwickelt. In einer qualitativen Interviewstudie, die in co-kreativer Zusammenarbeit mit älteren Menschen entwickelt wurde, hat das Team u.a. herausgefunden, dass soziale Barrieren wie Scham und Schuldgefühle besondere Hürden für die informelle Hilfe in einer Gemeinschaft darstellen. Auf Basis dieser Ergebnisse wurde gemeinsam mit den Bürger*innen ein erster Design-Prototyp einer Community-Plattform entwickelt, die das Suchen und Anbieten von Hilfe barrierearm ermöglichen soll. Neben Wissenschaftler*innen und Studierenden waren 7 bis 10 Co-Forschende sowie 20 Interviewteilnehmer*innen aus einer ländlichen Region nahe Zürich (Schweiz) an dem dreijährigen Projekt beteiligt. Die insbesondere an der Entwicklung von „CareConnection” beteiligten Personen sind als Co-Autor*innen angeführt. Der entstandene Prototyp wurde mittlerweile auf den deutschen Forschungskontext übertragen und befindet sich in der dritten Entwicklungsphase. Die Plattform soll in Zukunft ermöglichen, auch über diesen Anwendungsfall der Versorgung älterer Menschen hinaus eine digitale „Caring Community” aufzubauen.
3. Platz: Prof. Dr. Boris Dreyer, Professur für Alte Geschichte, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Den dritten Platz erzielte der Professor für Alte Geschichte Dr. Boris Dreyer mit dem Buch „Die Fridericiana Alexandrina Navis (F.A.N.): ein Römerboot auf dem Prüfstand – Bau und Test für Wissenschaft und Öffentlichkeit”. Das Buch entstand zusammen mit einer Vielzahl von Expert*innen aus unterschiedlichen Disziplinen und erschien 2022 im Herder Verlag (ehemals Wbg). Bürger*innen bauten gemeinsam mit Forscher*innen ein antikes Römerboot aus dem 1. Jahrhundert originalgetreu nach. Dieses große Experiment lieferte einzigartige Erkenntnisse über die Schifffahrt, Militärstrategien und Kommunikationswege des Römischen Reiches.
In allen Phasen der Umsetzung des Projekts waren in hohem Maße freiwillig engagierte Altertumsbegeisterte, Studierende und Schüler*innen involviert. Bei Bau und Testfahrten brachten sich zudem mehrere Handwerke und Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Disziplinen ein: Aus der Ur- und Frühgeschichte, den Strömungswissenschaften, der grafischen Datenverarbeitung, der Chemie, der Fertigungstechnologie und den Sportwissenschaften. Das Projekt fand zwischen 2016 und 2018 statt und führte die Freiwilligen in Testfahrten sogar über die Donau bis zum Schwarzen Meer. Das Buch stellt die Erkenntnisse über die Materialverwendung und Informationsverbreitung durch römische Patrouillen- und Geleitzugboote an den Rändern des Römischen Reiches vor, die mithilfe der vielen Freiwilligen gewonnen wurden: Den Geschichtswissenschaften ermöglicht diese Untersuchung, die Verteidigungskonzepte der Römer entlang der Flussgrenzen besser zu verstehen und einzuschätzen – und damit auch, wie diese zu über 200 Jahren Römischen Frieden beitrugen. Prof. Dr. Boris Dreyer und Team erlangten mit ihrer Forschung multimediale Resonanz und haben mittlerweile einen anderen Bootstyp gebaut, um es in Leistungstests mit der F.A.N. zu vergleichen.