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Preisträgerin Julia Binder: „Der Kern ist, dass wir aus der Praxis heraus unsere Forschung entwickeln“

Julia Binder von der Universität Münster erhielt 2023, stellvertretend für das Forschungsnetzwerk agroforst-monitoring, den Wissen der Vielen – Forschungspreis für Citizen Science (2. Platz) für die Publikation „Methodenkatalog zum bürgerwissenschaftlichen Monitoring moderner Agroforst-Ökosysteme“. Wir sprechen mit ihr über die prämierten Forschungsergebnisse und die Arbeit im Feld.

Was zeichnet dich als Wissenschaftlerin aus und mit welchen Forschungsthemen beschäftigst du dich?

Julia Binder: Ich hatte in den letzten Jahren die Möglichkeit, viel auszuprobieren. Studiert habe ich Landschaftsökologie in Münster, eine Disziplin, die sich durch viele Unterbereiche auszeichnet. Im Zuge dessen bin ich in Richtung Landnutzungsfragen und sozial-ökologische Systeme gekommen und schließlich auf unser agroforst-monitoring-Projekt. Mir gefallen vor allem Forschungsfragen mit Praxisbezug, die sich an Schnittstellen unterschiedlicher Disziplinen bewegen und idealerweise von betroffenen Akteur*innen selbst entwickelt werden. 

Wo würdest du dich im Bereich Citizen Science verorten, zwischen etablierte Forscherin und Newbie?

Julia Binder: Mittendrin! Ich kann jetzt auf vier Jahre intensiver Projektarbeit mit Citizen-Science-Ansatz blicken. Nichtsdestotrotz lerne ich jeden Tag etwas Neues dazu, denn alle involvierten Citizen Scientists sind individuell und haben unterschiedliche Anliegen. Etabliert im Sinne von "bekannt" sind wir definitiv im Bereich Agroforst, wenn Zusammenarbeit mit Bürger*innen gefragt ist. Dann wird häufiger auf unser Netzwerk als Anlaufstelle verwiesen. Das ist ziemlich cool!

Für eure prämierte Forschungsarbeit habt ihr explizit mit Akteur*innen aus Landwirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft zusammengearbeitet. Was genau habt ihr erforscht und was war die Motivation?

Julia Binder: Wir forschen zum Nutzen von Agroforstsystemen, also der Integration von Gehölzen auf landwirtschaftlichen Nutzflächen. Es gibt bereits viel Forschung dazu, ob Agroforstwirtschaft gut ist, also sich lohnt. Wir haben allerdings unser Projekt gestartet, um nach dem WIE zu fragen. Wie müssen Agroforstsysteme unter Berücksichtigung des spezifischen landschaftlichen Kontextes eines Betriebes gestaltet werden? Wie hängen verschiedene Komponenten miteinander zusammen? Hierzu forschen wir vor Ort auf momentan 11 Betrieben in ganz Deutschland mit den Citizen Scientists. Sie erheben auf den Höfen Daten zum Monitoring der ökologischen Entwicklungen auf den Anbauflächen und gehen sozialwissenschaftlichen Fragestellungen nach. Die Methoden haben wir gemeinsam mit ihnen und den Landwirt*innen entwickelt und im prämierten Methodenkatalog festgehalten. Wir möchten die Methoden weiterentwickeln und zukünftig die soziale Komponente stärker berücksichtigen, denn wir verstehen das Agroforstsystem nicht nur als Produktionssystem, sondern auch als Mensch-Umwelt-System. Grundsätzlich zielt unsere Forschung darauf ab, dass wir den sozial-ökologischen Wandel mitgestalten möchten.  

Zur Preisverleihung hast du uns Fotos mitgebracht, die Mitwirkende in Aktion auf den Feldern und in Besprechungen in der Scheune gezeigt haben. Wie lief die Zusammenarbeit ab? Warum habt ihr euch für den partizipativen Forschungsansatz entschieden?

Julia Binder: Ohne den Citizen-Science-Ansatz hätten wir diese Forschungsarbeit gar nicht erstellen können. Was uns bewegt, ist mit Bürger*innen gemeinsam zu arbeiten und ihr lokales Wissen in den wissenschaftlichen Forschungsprozess einfließen zu lassen. Wir kennen den lokalen Kontext im Münsterland, wo wir studiert haben, ganz gut. Aber was lief in Mecklenburg-Vorpommern vor 20 Jahren? Regionale Unterschiede sind natürlich für die Zusammenarbeit relevant, sei es die Sprache oder gewachsene Strukturen, die beispielweise aus unterschiedlicher Agrarpolitik resultieren. Lokales Wissen steigert unseren Erkenntnisgewinn. Das haben wir auf unseren Infoveranstaltungen kommuniziert und es kam bei den Interessierten und späteren Citizen Scientists gut an. Gegenseitige Wertschätzung und die Anerkennung davon, dass alle unterschiedliches Wissen und Lebenserfahrung mitbringen, ist die Grundlage für eine gelungene Zusammenarbeit auf Augenhöhe.

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse der prämierten Forschungsarbeit?

Julia Binder: Durch die Zusammenarbeit mit den Engagierten sind 17 Methoden entstanden, die nun im Katalog veröffentlicht sind und auch über unser Netzwerk hinaus für ein Monitoring in einem Agroforstbetrieb angewendet werden könnten. Erstens haben wir die Forschungssäule „Landwirtschaft in Zeiten des Klimawandels“, zu der beispielsweise die Untersuchung von Bodenchemie, Baumentwicklung oder Verdunstung gehört. Zweitens, haben wir Methoden entwickelt für die Säule „Erhalt der Artenvielfalt in der Kulturlandschaft“, in der es zum Beispiel um Brutvögel, Hummeln oder die Begleitflora geht. Drittens interessiert uns die „Gesellschaftliche Einbettung der Landwirtschaft“.

In ihrer Laudatio schrieb die Preis-Jury euren von Studierenden entwickelten Ansätzen das Potenzial zu, Weiterentwicklungen im Wissenschaftssystem anzustoßen. Wie war bislang die Resonanz auf euren Methodenkatalog? Zum einen aus der wissenschaftlichen Community, die sich speziell mit Agrarwirtschaft auseinandersetzen, und darüber hinaus?

Julia Binder: Einerseits begeistern wir etablierte Wissenschaftler*innen und arbeiten bereits mit anderen Hochschulen, Fachbereichen und Forschungseinrichtungen zusammen. Wir sagen offen, wo unsere Limitierungen liegen und kommunizieren transparent unsere Ziele und Ergebnisse. Anderseits stoßen wir manchmal auch auf Kritik, beispielsweise, wenn es um die Untersuchung der Tiere geht. Ein Insektenkundler wäre da vielleicht der Meinung, dass eine Erhebung ohne genaue Bestimmung bis zur Subspezies nicht sinnvoll sei. Aber die Frage ist immer, was genau erforscht werden soll. Wir haben unsere Methoden stetig angepasst, dies kommuniziert und in den meisten Fällen konstruktives Feedback bekommen. Dennoch gibt es auch Wissenschaftler*innen, die auf standardisierte Vorgehensweisen mit hohem Aufwand und Kosten beharren. Da gilt es dann abzuwägen, ob eine sich ergänzende Zusammenarbeit möglich und sinnvoll ist. Schwierig wird es, wenn wir dabei auf grundsätzliches Unverständnis gegenüber unseren Citizen-Science-Ansatz stoßen. Daher ist es total wichtig, welche Fragen wir uns genau stellen und welche Herangehensweise wir brauchen, um sie zu beantworten. 

In einem Citizen-Science-Projekt gibt es verschiedene Aufgaben zu verteilen, von der Organisation der Teilnehmenden über die Kommunikation nach außen und die Datenerhebung und -auswertung. Wie würdest du deine Rolle sehen?

Julia Binder: Ich glaube, ich bin die Netzwerkerin, weil ich versuche, Synergien zu erkennen und Menschen zu verbinden. Zudem koordiniere ich unsere Hilfskräfte und habe die Kommunikation mit den Lokalgruppen und ihre Versorgung mit Material zur Datenerhebung im Blick, wenn dann die Saison losgeht. Diese wird vor Ort koordiniert und danach erfolgt die Auswertung über uns als wissenschaftliches Organisationsteam. Bei unseren unterschiedlichen Schwerpunkten sehe ich mich vor allem im sozialwissenschaftlichen Bereich, den ich jetzt mit aufbaue. Aber wenn wir auf Feldarbeit sind, dann kartiere ich auch sehr gerne die Pflanzen.

Welche Herausforderungen gab es im Projekt im Zeitraum von den ersten Erhebungen bis zur prämierten Publikation?

Julia Binder: Am Anfang war es herausfordernd, dass wir als Forschende auf Legitimation von außen angewiesen sind, zum Beispiel bei der Akquise von Geldern. Da ist es gut, vorweisen zu können, dass unsere Arbeit bereits ausgezeichnet wurde. Anerkennung und Wertschätzung sind auch wichtig, um weitere Strukturen wie neue Kooperationen aufbauen zu können. Dabei ist es wichtig zu betonen, wie viel Arbeit im Aufbau des Forschungsnetzwerkes steckt und dass es seine Pflege immer noch ist. Das Vertrauen der unterschiedlichen Akteur*innen wurde über Jahre hinweg aufgebaut und ist zentral für das Funktionieren des Projekts. Frust gab es teilweise auch zu überbrücken, zum Beispiel in der Methodenentwicklung. Wir haben dabei mit den Bürgerwissenschaftler*innen bei Null gestartet. Für manche ist es aber schwierig zu akzeptieren, dass die Methoden nie zu 100 Prozent fertig sind. Da gab es schon mal erstes Unverständnis darüber, warum die Daten in einem Jahr anders erhoben werden als im anderen bzw. die Angst, dass die vorherige Erhebung umsonst gewesen sei. Aber das war sie eben nicht. Unser Projekt zeichnet aus, gemeinsam zu lernen und mit unseren Erfahrungen zu wachsen.

Die Einbindung von engagierten Bürger*innen in den Forschungsprozess bedeutet einen Mehraufwand für die hauptamtlich Forschenden. Warum lohnt es sich deiner Meinung nach dennoch?

Julia Binder: Ich finde der Begriff "Mehraufwand" passt nicht unbedingt. Es ist einfach eine andere Art von Aufwand. Ohne die Citizen Scientists wären wir aber nicht so weit gekommen, wie wir sind. Bei der Methodenentwicklung haben viele Köpfe mitgedacht und darauf kam es an. Der Kern ist, dass wir aus der Praxis heraus unsere Forschung entwickeln und nicht vom Schreibtisch. 

Wofür setzt ihr im Projekt die Preisgelder des Wissen der Vielen-Preises ein? 

Julia Binder: Wir stellen eine weitere studentische Hilfskraft ein, um die sozialwissenschaftliche Säule auszubauen. Außerdem planen wir gerade ein Bildungskonzept, also eine Lehreinheit für Agroforstwirtschaft mit einer Schule im Münsterland. Auch hier freuen wir uns, die Preisgelder in die zusätzlichen personellen Bedarfe stecken zu können, um die neuen Themen gezielter voranzubringen. 

Leonie Malchow

Leonie ist über die Welt der Engagement- und Demokratieförderung bei der Citizen Science gelandet. Im Team ist sie für Projektmanagement und Kommunikation zuständig.