Große Aufmerksamkeit für kleine Communitys – die internationale Citizen Science Konferenz in Raleigh, USA, 2019
Die diesjährige Citizen Science Konferenz stand unter dem Motto, den „Familienbaum“ wachsen zu lassen. Und trotz der großen Zahl von 800 Teilnehmenden haben sich die Veranstalter bemüht, viele Gelegenheiten zum Kennenlernen und Vernetzen zu bieten. Auffällig war der hohe Anteil an Frauen. Während einige Frauen dies als Speerspitze zur Öffnung und Umgestaltung des Wissenschaftssystem sehen, drängt sich bei mir eher der Verdacht auf, dass die im Bereich Citizen Science mehr auf Kommunikation und Wissenstransfer angelegten Tätigkeiten weniger (finanzielle) Wertschätzung erfahren und für viele Männer entsprechend weniger attraktiv sind.
Eine große Rolle spielte auf dieser Konferenz „Community Science“. Dabei sind mit Communitys vor allem lokale Gruppen benachteiligter und armer Menschen gemeint, oft Farbige oder Schwarze, die sich zusammentun und mit Hilfe wissenschaftlicher Analysen die Verursacher von Umweltbelastungen identifizieren. Beindruckend und auch schockierend war beispielsweise der Beitrag von Viola “Vi” Waghiyi aus Alaska, die berichtete, dass Anzahl der Menschen ihrer Community sich stark reduziert hat und die Krebsraten in ihrer Community überdurchschnittlich hoch seien. Sie konnten dann nachweisen, dass es Chemikalien (polychlorierte Biphenyle; PCB) sind, die ihre traditionelle Nahrung – Meeressäuger – so stark belasten. PCB werden u.a. bei der Produktion von Öl freigesetzt. Auch Margaret L Gordon nahm die hohen Krebsraten als Anlass, eine deutliche Verringerung der Luftverschmutzung, die als Verursacher identifiziert wurde, durchzusetzen. Das sehr gemischte, ohne „weiße Männer aus dem akademischen Bereich“ besetzte Podium war sich sehr einig, dass Rassismus ein wesentlicher Grund für die beschriebenen Probleme ist und fordert mehr Umweltgerechtigkeit (environmental justice).
Auch in anderen Sessions wurde das Motiv der Benachteiligung insbesondere von Schwarzen aufgegriffen. So drehte sich das Projekt von Tamara Johnson-Shealey darum, dass Frisuren für schwarze Frauen eine besondere Bedeutung haben („my hairs are my crown“), aber die Pflegeprodukte überdurchschnittlich hoch belastet seien. Das Projekt startet mit einer Analyse des Verhaltens in Bezug auf die Haarpflege.
In vielen Sessions gab es Anknüpfungspunkte an aktuelle Diskussionen in Deutschland und Europa. So haben viele Teilnehmende der Session „Citizen Science und Museen“ darüber berichtet, dass das Interesse der Besuchenden, sich an Forschungsprojekten zu beteiligen, wächst, aber sehr schnell die eigenen Ressourcen übersteigt. Viele Einrichtungen binden daher aktiv Partner aus der Zivilgesellschaft ein. Die Auslagerung in den virtuellen oder digitalen Bereich wird von den Menschen hingegen nicht angenommen.
Auch die Evaluierung von Projekten im Hinblick auf den Mehrwert für die Beteiligten selber spielt eine immer größere Rolle. Dabei wird auch deutlich, dass die Prädisposition wichtig ist: Für Menschen, die „die Welt retten“ wollen, ist vor allem bedeutsam, dass zurückgespielt wird, welchen – politischen – Einfluss ihr Beitrag hat, wohingegen es Menschen mit überwiegend epistemischen Interessen wichtiger ist, etwas zu lernen.
Insgesamt war es eine inspirierende Tagung, eine Mischung aus zum Teil vielen Vorstellungen einzelner Projekte bis hin zur Diskussion großer Fragen von Umweltgerechtigkeit und Nachhaltigkeit sowie der politischen Wirksamkeit von Citizen Science. Wer sich für Details aus verschiedenen Sessions interessiert findet in den Blogbeiträgen von Muki Haklay viel Material. Die nächste Gelegenheit für einen internationalen Austausch wird 2020 in Trieste im Rahmen der ECSA Konferenz sein.