Fragen für die Zukunft der Citizen Science: Susanne Hecker im Gespräch
Dr. Susanne Hecker leitet den Forschungsbereich Gesellschaft und Natur am Museum für Naturkunde Berlin, ist Vorsitzende der European Citizen Science Association (ECSA) und seit dem vergangenen Jahr auch stellvertretende Vorsitzende der neu gegründeten Gesellschaft für transdisziplinäre und partizipative Forschung (GTPF). Im Interview erklärt sie, welche Synergien durch den Zusammenschluss der Communities entstehen und warum sie sich persönlich in der GTPF engagiert.
Susanne, seit wann begleitet dich das Thema der Partizipation in der Forschung und was sind für dich dabei die Kernelemente?
Susanne: Partizipation in der Forschung begleitet mich ungefähr seit 2010. Damals war ich Co-Leitung der Kommunikationsabteilung am ZALF und kam dort mit dem Mückenatlas, einem inzwischen sehr etablierten Citizen-Science-Projekt, in Berührung. Da habe ich angefangen, tiefergehend über Partizipation in der Forschung nachzudenken. Seit 2014 widme ich mich intensiv dem Thema Citizen Science, habe unter anderem ein Citizen-Science-Projekt am iDiv durchgeführt, die erste und vierte ECSA-Konferenz (mit)organisiert, mich im Weißbuch-Prozess engagiert und in den Kommunikationswissenschaften zu Citizen Science promoviert. Jetzt am Museum für Naturkunde gehört zum Forschungsbereich Gesellschaft und Natur ein eigenes Citizen-Science-Team. Für mich sind Kernelemente einer sinnvollen Partizipation, dass sie für alle Beteiligten relevant ist und dass verschiedene Wissensformen anerkannt werden – also nicht nur wissenschaftliches, sondern auch lokales oder Alltagswissen. Es ist wichtig, dass Menschen sich entsprechend ihrer Möglichkeiten und Interessen einbringen können.
Worin liegen deiner Meinung nach die Potenziale davon, nicht wissenschaftliche Akteur*innen an der Forschung zu beteiligen?
Susanne: Die Potenziale von Citizen Science sind vielfältig. Zum einen gibt es die Potenziale für die Wissenschaft selbst. Citizen Scientists können flächendeckend Daten erfassen und haben Zugang z.B. zu privaten Orten, die institutionell Forschenden verwehrt bleiben. Dadurch kann sich einerseits die Quantität, aber auch die Qualität von Daten verbessern. Die Einbindung von Bürger*innen hilft der Wissenschaft außerdem dabei, ihre Fragestellungen zu reflektieren, auf Machbarkeit und Relevanz zu überprüfen. Für die Gesellschaft bietet Citizen Science die Möglichkeit, sich an Forschungsprojekten zu beteiligen oder sie sogar selbst zu initiieren und Spaß an der Forschung zu haben. Wenn ich zum Beispiel in der Freizeit Vögel beobachte, kann ich dabei einen Beitrag zum Biodiversitätsmonitoring leisten, indem ich einen Eintrag in einer offener Vogel-Datenbank mache. Citizen Science kann es Bürger*innen zudem auch erlauben, ihre Interessen zu vertreten und gemeinsam mit der Wissenschaft auf politischer Ebene etwas zu bewirken.
Vor welchen Herausforderungen stehen Wissenschaftler*innen, die partizipativ forschen?
Susanne: Das variiert je nach Karrierestufe. Studien zeigen, dass vor allem junge Wissenschaftler*innen Interesse an partizipativer und transdisziplinärer Arbeit haben, aber oft fehlt ihnen die Zeit. Promotionsstudierende sind meist nur für drei Jahre gefördert und haben wenig Raum für die zusätzliche Kooperation und Kommunikation, die Partizipation erfordert. Gleichzeitig raten ihre Betreuer*innen vielleicht auch davon ab, weil es sie in der traditionellen wissenschaftlichen Karriere vermeintlich nicht unbedingt weiterbringt. Das akademische Anerkennungssystem berücksichtigt Partizipation nach wie vor kaum. Senior Scientists, die bereits etabliert sind, setzen solche Projekte eher um, da sie es sich „leisten“ können. Auch auf der persönlichen Ebene bringt Partizipation Herausforderungen mit sich: Man hat plötzlich mit Menschen zu tun, die natürlich ihre eigenen Interessen und Vorschläge mitbringen. Damit muss man lernen umzugehen. Es braucht außerdem methodische Skills, um zum Beispiel die Datenqualität sicherzustellen oder einen Aushandlungsprozess um unterschiedliche Interessen zu moderieren.
2023 wurde nicht nur eine Partizipationsstrategie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung veröffentlicht, sondern auch die Gesellschaft für transdisziplinäre und partizipative Forschung (GTPF) gegründet. Welche Communities haben sich dabei zusammengetan?
Susanne: Die GTPF ist jetzt etwa ein Jahr alt und befindet sich noch in der Gründungsphase. Der wesentliche Impuls zu ihrer Gründung kam aus der transdisziplinären Community und die partizipative Community ist dort mit eingestiegen. Die Citizen-Science-Community bringt sich dort auch aktiv ein. Die GTPF steht vor der Aufgabe, die verschiedenen transdisziplinären und partizipativen Communities gut zusammenzubringen. Diesen Verständigungsprozess haben wir mit den ersten beiden PartWiss-Konferenzen aufgenommen und es braucht ihn weiterhin. Dabei ist es mir wichtig, dass wir nicht aus den Augen verlieren, wozu wir die GTPF gegründet haben: Uns eint, dass wir einen großen Mehrwert darin sehen und wir überzeugt davon sind, dass unsere Ergebnisse besser werden, wenn wir Akteur*innen von außerhalb der Wissenschaft in unsere Forschung einbeziehen.
Welche Synergien können deiner Meinung nach durch die Zusammenarbeit der partizipativen und transdisziplinären Communities in der GTPF entstehen?
Susanne: Bei den PartWiss-Tagungen und bei der Vorstandsarbeit haben wir gesehen, dass viele Möglichkeiten allein dadurch entstehen, dass alle schon Netzwerke und Partner*innen mitbringen und so Schulterschlüsse und Kooperationen entstehen, die zuvor nicht absehbar waren. Es ist toll, diese Netze in der GTPF schließen und Einzelaktivitäten effektiver bündeln zu können.
Was bedeutet die Gründung der GTPF für die Etablierung partizipativer Forschung?
Susanne: Ziel ist, dass die GTPF für Forschende und Fördergeber*innen eine zentrale Ansprechstelle im deutschsprachigen Raum wird. Ein weiteres Satzungsziel der GTPF ist die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Indem sie mittelfristig Weiterbildungsangebote ihrer Netzwerkpartner*innen bündelt, kann sie diese sichtbarer und zugänglicher machen. So wird es für Studierende und Doktorandinnen leichter, fachlich fundierte Angebote zu finden, ohne sich selbst durch das Netz klicken zu müssen. Außerdem sehen wir es als unsere Aufgabe, verschiedene Player anzusprechen, zu vernetzen und auch politische Lobbyarbeit zu leisten, um den Mehrwert von partizipativer und transdisziplinärer Forschung deutlich zu machen
Warum engagierst Du Dich persönlich in der GTPF?
Susanne: Ich sehe heute deutlicher als noch vor ein paar Jahren die Notwendigkeit, das Thema Partizipation in der Forschung aktiv und strategisch voranzubringen. Durch meine Position als Forschungsbereichsleitung am Museum für Naturkunde Berlin kann ich einen Beitrag leisten für die Sichtbarkeit und Anerkennung der partizipativen und transdisziplinären Forschung und mich besonders auch für diejenigen einsetzen, die prekär beschäftigt sind und vor den eingangs erwähnten Herausforderungen stehen. Da die GTPF stärker aus der transdisziplinären Community kommt, halte ich im Vorstand die Fahne der partizipativen Forschung hoch. Im Gespräch mit Stakeholdern wie dem BMBF kann ich als Vorstandsmitglied auch Citizen-Science-Belange mit einbringen.
In der Citizen Science und transdisziplinären Forschung haben sich in den vergangenen Jahren national wie international starke Communities gebildet. Was kann man aus diesen Prozessen lernen?
Susanne: Zum einen, dass es einen langen Atem und großes Engagement von Personen, Institutionen und Fördergebern erfordert, die den Mehrwert dieser Ansätze anerkennen und sie weiterentwickeln wollen. Natürlich kommt es auch immer darauf an, welche Fenster gerade offen sind: Wo trifft man eine förderpolitische oder gesamtgesellschaftliche Entwicklung und kann anknüpfen, um gemeinsam etwas zu bewegen? Dabei ist es entscheidend, sich nicht in zu vielen verschiedenen Aktivitäten zu zerstreuen und das übergeordnete Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Wo können wir in Synergie gehen, statt parallel nebeneinander her zu arbeiten? Ich bin ja auch Vorsitzende der ECSA und gerade im Feld Citizen Science finde ich es immer wieder faszinierend, wie sich Plattformen und Netzwerke in anderen Ländern und Regionen der Welt entwickeln. Hier können wir viel voneinander lernen, wenn wir gleichzeitig die spezifischen Gegebenheiten vor Ort berücksichtigen: Die Umstände sind in Deutschland anders als in Österreich und in Europa anders als in Australien oder Afrika.
Momentan feiern wir 10 Jahre Citizen-Science-Plattform. Gehen wir gedanklich noch 10 Jahre weiter und spinnen ein positives Zukunftsszenario: Welche Möglichkeiten hat eine an Partizipation interessierte Nachwuchswissenschaftlerin im Jahr 2034?
Susanne: Grundsätzlich hat sie die Freiheit, sich dafür zu entscheiden, partizipativ zu forschen, ohne dass dabei überhaupt der Gedanke aufkommt, dass ihr dadurch in ihrer wissenschaftlichen Karriere Nachteile entstehen. Im Gegenteil: Der partizipative Ansatz bringt ihr Pluspunkte in ihrer wissenschaftlichen Karriere. Sie hat über eine dauerhaft finanzierte Citizen-Science-Plattform vielfältige Möglichkeiten, sich zu vernetzen. Sie weiß, dass sie über eine Fachgesellschaft die Chance hat, sich strategisch einzubringen, falls sie das möchte, und kann als Mitglied der Gesellschaft von den angebotenen Services und Weiterbildungsangeboten profitieren. Künstliche Intelligenz wird sicher eine Rolle spielen und Prozesse erleichtern. An ihrer Universität oder außeruniversitären Forschungseinrichtung gibt es feste Ansprechpersonen und Anlaufstellen für Fragen rund um Partizipation. Die Wissenschaft ist besser vernetzt mit der organisierten Zivilgesellschaft, also mit Freiwilligenverbänden, Naturschutzverbänden und Geschichtsvereinen, was ihr ein breites Spektrum an Kooperationsmöglichkeiten bietet. Auch die Schnittstellen zu Politik und öffentlicher Verwaltung sind etabliert, so dass ihre partizipative Forschung auch auf der politischen Ebene einen Impact haben kann. Ein wesentlicher Punkt ist auch, dass der Ansatz der Partizipation in der Forschung bekannter geworden und im gesellschaftlichen Bewusstsein fest verankert ist. Die Nachwuchswissenschaftlerin hat auch schon als Privatperson, als Bürgerin, ohne dass sie bewusst danach gesucht hat, ganz selbstverständlich an verschiedenen Projekten teilgenommen.
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Dieser Beitrag ist Teil unserer Jubiläums-Blogreihe „Fragen für die Zukunft der Citizen Science". Hier geht es zur Übersicht der Blogreihe.