Citizen Science mit Schulen: „Man darf den Spaß nicht aus den Augen verlieren”
Bei ParKli werden gemeinsam mit Bürger*innen Frühwarnsysteme für Klimafolgen entwickelt. Regelmäßig nehmen auch Schulklassen an dem Projekt teil. Mit Annette Kunz-Engesser (os4os) und Jan Fauser (Hochschule Reutlingen) haben wir über Besonderheiten in der Zusammenarbeit von Citizen-Science-Projekten mit Schulen gesprochen.
Worum geht es im Projekt ParKli?
Kunz-Engesser: Mit ParKli wollen wir die Folgen des Klimawandels aufzeigen und durch Citizen-Science-Aktivitäten erlebbar machen. Gemeinsam mit Bürger*innen möchten wir Frühwarnsysteme für Klimafolgen entwickeln. Dabei erfinden wir das Rad nicht neu, sondern nutzen bestehende Systeme und Apps wie EyeOnWater, iNaturalist und GreenspaceHack, denn uns war wichtig, dass ParKli auch nach Projektende weiter existieren kann. Außerdem greifen wir auf verschiedene Schnittstellen und Open-Access-Daten aus anderen Projekten und Bereichen zurück. Aus all dem entwickeln wir einen Baukasten mit Best-Practice-Empfehlungen für Frühwarnsysteme. Die gewonnen Daten und Entwicklungen stellen wir offen zur Verfügung.
Warum haben Sie sich entschieden, in Ihrem Projekt einen Citizen-Science-Ansatz zu verfolgen?
Kunz-Engesser: Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen brauchen wir viele Daten auch von unterschiedlichen Orten um unterschiedliche Aspekte zu analysieren. Das könnten wir allein als Forschungsteam überhaupt nicht stemmen. Zum anderen sehen wir einen gesellschaftlichen Wandel, ein wachsendes Bedürfnis nach Teilhabe an Forschung, auf das wir reagieren möchten. Der technologische Fortschritt ermöglicht neue Arten dieser Teilhabe, zum Beispiel per Smartphone. Nicht zuletzt geht es auch darum, das Wissen, das wir in der Forschung haben, in die Gesellschaft zurückzuspielen.
Bei ParKli können sich Bürger*innen in verschiedenen Rollen – Klimadetektiv*in oder Bürgerbeirät*in – einbringen. Welche Aufgaben übernehmen sie dabei?
Kunz-Engesser: Die Klimadetektiv*innen sind unser Einsteigerformat. Hier geht es darum, Beobachtungen in der Natur oder in der Stadt zu machen, also regelmäßig mit den Apps Daten zu erheben und auch Feedback zu den Apps zu geben: Eignen sich die Apps? Gibt es irgendwelche Schwachpunkte? Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass bei manchen Apps die GPS-Daten nicht gut übertragen werden. Wer als Klimadetektiv*in mitmachen möchte, braucht keine besonderen Vorkenntnisse. Der Arbeitsumfang für das Sammeln der Daten beträgt fünf bis zehn Minuten in der Woche. Die Bürgerbeiräte steigen stiefer bei uns ein. Der wöchentliche Zeitumfang pro Woche ist dabei von Person zu Person unterschiedlich, weil sich die Art des Engagements nach den Interessen richtet. Wir haben Engagierte, die zum Beispiel aus der Informatik kommen und uns bei der Datenauswertung unterstützen. Wir haben technisch affine Teilnehmende, die uns bei der Entwicklung eines Wassersensors sehr geholfen haben. Andere Bürgerbeiräte gestalten unsere Fragestellungen und Problemdefinitionen mit. Dann haben sich Lehrerinnen bei uns gemeldet und gefragt, ob wir Angebote für Schulen haben. Gemeinsam haben wir Schulmodule entwickelt und durchgeführt.
Fauser: Welche Aufgaben die Bürgerbeirät*innen übernehmen ist also wirklich total davon abhängig, welche Vorkenntnisse die Menschen mitbringen und welche Probleme sich im Projekt ergeben. Das hat sich häufig aus dem Prozess heraus entwickelt. Viele sind als Klimadetektiv*innen bei uns gestartet, haben sich dann sehr aktiv eingebracht und sind zu Bürgerbeirät*innen geworden. Bei anderen ist das Interesse eher kurzfristig und sie wandern wieder ab.
Sie haben eben bereits das Schulmodul angesprochen. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit von ParKli mit Schulen und anderen Bildungseinrichtungen?
Kunz-Engesser: Das ist sehr unterschiedlich und stark abhängig von den Lehrer*innen, weil es natürlich auch Organisationsaufwand bedeutet, ein Citizen-Science-Projekt in den Unterricht zu integrieren. Damit die Zusammenarbeit erfolgreich sein kann, braucht es Motivation und Engagement. Da haben wir einige wirklich sehr gute, aber euch ein paar mittelmäßige Erfahrungen gemacht. Sehr gute Erfahrungen hatten wir zum Beispiel mit Schülerforschungszentren, dort ist der Betreuungsschlüssel in der Regel sehr gut.
Fauser: Meistens kommen die Schulen beziehungsweise Lehrer*innen auf uns zu. Dann startet ein ko-kreativer Prozess, bei dem wir besprechen, was wir zusammen machen könnten, welche Fragestellungen interessant wären, welche Probleme es geben könnte und welches Material gebraucht wird. Wenn alles aufbereitet ist, führen wir dann einen Projekttag mit den Kindern durch.
Wie sieht so ein Projekttag mit ParKli aus?
Kunz-Engesser: Das kommt darauf an, was die Lehrer*innen machen wollen, aber auch, wie alt die Schüler*innen sind und wo sich die Schule befindet. Gibt es ein Gewässer oder einen grünen Raum in der Nähe, um Aktionen durchzuführen oder müsste man erst lange woanders hinfahren? An einer Schule haben wir zum Beispiel einen Vortrag als Einstieg gehalten, sind dann zusammen an einen See gegangen und haben Wasseruntersuchungen durchgeführt. Bei einem zweiten Termin haben wir dann die Forschungsergebnisse gezeigt und weitere Parameter erfasst. Zu sehen, dass die Messungen wichtig für unser Projekt sind, motiviert die Schüler*innen. Die Ergebnisse haben die Schüler*innen dann auch an den Projekttagen ihrer Schule den Eltern und anderen Schulklassen vorgestellt. In Ludwigsburg haben wir eine Ferienaktion mit Grundschulkindern gemacht, da mussten wir natürlich anders vorgehen. Wir haben alles so aufbereitet, dass wir nur kurz die Smartphones im Einsatz hatten. Dann haben wir eine Schnitzeljagd gemacht und dabei Wasserproben entnommen – die Kinder waren super motiviert und stolz, Klimaforschung zu machen.
Was ist Ihrer Erfahrung nach besonders wichtig bei der Durchführung von Citizen-Science-Aktivitäten mit Schüler*innen?
Kunz-Engesser: Als erstes ist es wichtig, sich die Schulform und den Bildungsplan genau anzuschauen. Es hilft, sagen zu können, wie das Projekt in den Lehrplan passt oder auch fächerübergreifende Themen und Kompetenzen adressiert. So können die Lehrer*innen die Teilnahme auch besser mit der Schulleitung abklären. Während der Durchführung der Aktionen ist es zentral, nicht von oben herab zu kommunizieren, sondern auf Augenhöhe. Wir haben am Anfang immer klargestellt, dass alles gefragt werden kann, es keine blöden Fragen in der Forschung gibt – im Gegenteil! Die Schüler*innen durften uns duzen und wir haben auch unsere Wege in die Forschung und unsere Motivation aufgezeigt. Wir waren zum Beispiel an einer Mädchen-Realschule. Mein Kollege und ich haben erzählt, dass wir auch die mittlere Reife haben und über den zweiten Bildungsweg in die Forschung gekommen sind. Das war sehr interessant für die Mädchen, zu sehen, dass die Forschung gar nicht so weit weg ist und auch sie diesen Weg einschlagen können, wenn sie möchten.
Fauser: In der Zusammenarbeit mit Schüler*innen ist es ganz wichtig, eine persönliche Beziehung aufzubauen. Deshalb haben wir am Anfang immer unsere persönliche Motivation für die Arbeit in ParKli dargestellt und versucht, die Klasse abzuholen und zu fragen, was ihnen an den Themen wichtig ist. Außerdem darf man den Spaß nicht aus den Augen verlieren, wenn man die Schüler*innen mitnehmen will. Deshalb versuchen wir, spielerisch heranzugehen. Aber das Thema hängt stark von den Personen ab und steht und fällt durch das Engagement der Lehrkraft.
Sie haben für die Zusammenarbeit mit Schulen auch Materialien entwickelt. Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Kunz-Engesser: Genau. Wir haben unter anderem einen „Spickzettel” zusammengestellt, auf dem wir ganz komprimiert zusammengefasst haben, was Citizen Science eigentlich ist, was die wichtigsten Infos zu unserem Projekt und unseren Themen sind. Dabei haben wir versucht, den Inhalt an die Sprache der Kinder anzupassen. Das war Learning by Doing, aber wir haben auch Empfehlungen von Lehrer*innen bekommen. Zum Beispiel den Tipp, dass man die Schüler*innen wirklich in den ersten paar Minuten begeistern muss, weil man sie sonst eigentlich schon für den Rest des Tages verloren hat. Wir hatten das Glück, dass eine der in unserem Beirat engagierten Lehrerinnen im Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung in Baden-Württemberg arbeitet. Dadurch haben sich Kontakte ergeben und wir arbeiten gerade gemeinsam daran, unsere Materialien und Erkenntnisse aus den Schulprojekten in ein Train-the-Trainer-Format zu übertragen und für die Bildungsplattform „Moove“ (Baden-Württemberg) auf Moodle als Online-Modul aufzubereiten. Das kann dann auch weiter genutzt werden, wenn ParKli nicht mehr läuft.
Welche Herausforderungen sind Ihnen in der Zusammenarbeit mit den Schulen begegnet?
Fauser: Die mangelnde Digitalisierung an Schulen wäre fast ein Showstopper gewesen. An einer der Schulen durften die Schüler*innen zum Beispiel keine privaten Smartphones für unsere Messungen verwenden. Die an der Schule vorhandenen Tablets hätten wiederum nicht ausgereicht und es hätte Genehmigungen von der IT-Abteilung der Schule gebraucht, um die benötigten Apps installieren zu dürfen. Da haben wir dann einfach beschlossen, drei günstige Smartphones anzuschaffen und mit den Apps einzurichten, unsere eigenen Handys zusätzlich zur Verfügung zu stellen und vor Ort einen Internet-Hotspot aufzumachen. Eine weitere Herausforderung war es, die Lehrer*innen zu motivieren, auch nach den Projekttagen, wenn wir nicht mehr dabei sind, weitere Aufgaben mit der Klasse umzusetzen.
Kunz-Engesser: Wir wollen nicht nur einmalige Aktionen mit einer Schulklasse durchführen, sondern Kontinuität reinbringen, also zum Beispiel drei Termine im Jahr zusammen machen. Wenn diese dann zu weit auseinander liegen, haben die Schüler*innen zum Teil wieder vergessen, um was es geht, und man muss sie neu abholen und motivieren. Deshalb greifen wir immer die Ergebnisse der vorherigen Termine auf und zeigen, dass die Forschungsdaten nicht verloren gehen, sondern weltweit mit ihnen gerarbeitet werden kann. Man muss bei der Festlegung der Termine außerdem den Schulalltag im Blick haben. Am Anfang des Schuljahres, wenn alle Kurse losgehen, geht erstmal noch nichts und dann stehen schon die Herbstferien an. Bei unserem Projekt sind wir ja auch von der Natur abhängig, da bietet sich die Zeit ab Ostern an. Besonders viel Spielraum hat man oft im Juni, Juli, wenn es an vielen Schulen auch Projekttage gibt.
Sie sind in der AG Citizen Science in Schulen aktiv. Warum engagieren Sie sich in der AG?
Kunz-Engesser: Wir waren bei dem Workshop zur Erhebung von Bedarfen im Bereich Citizen Science und Schulen im Dezember 2022 dabei. Den Austausch mit anderen Projekten, die Schulprojekte machen wollten oder schon gemacht hatten, fanden wir beide sehr hilfreich, weil wir damals noch am Anfang unserer Arbeit standen. Seitdem sind wir in der AG Citizen Science in Schulen aktiv und haben auch am Treffen beim Forum Citizen Science 2023 teilgenommen. Die AG ist super interessant und sehr hilfreich.
Was waren Ihre Highlights in der Zusammenarbeit mit Schüler*innen?
Fauser: Die Zusammenarbeit mit Schüler*innen hat viel Spaß gemacht. Gleichzeitig konnten wir eine große Menge an Daten erheben, weil sich allein aufgrund der Klassengrößen bei den Aktionstagen mit Schulen immer viele Leute beteiligt haben. Die Schüler*innen haben auch oft gute Frage gestellt, zu Themen, über die wir uns selbst überhaupt keine Gedanken gemacht hätten.
Kunz-Engesser: Da sieht man eigentlich, dass Forschung und Schule wirklich gut zueinander passen. Wir haben versucht, einen echten Einblick in unser wissenschaftliches Arbeiten zu geben und auch viel zurückbekommen.
Dieser Beitrag ist Teil der Blogreihe „Citizen Science mit Schulen”. Für den ersten Beitrag der Reihe haben wir mit Tim Kiessling, Co-Leiter der AG Citizen Science in Schulen, über die Entwicklung des neuen Leitfadens zur Umsetzung von Citizen-Science-Projekten mit Schulen gesprochen. Im zweiten Beitrag teilt Christian Thiel, außerplanmäßiger Professor für Citizen Science an der Universität Jena, seine Sicht auf die aktuelle PISA-Studie und die Potenziale von Citizen Science für den Schulunterricht.