„Wir möchten die Wünsche der Bürger*innen berücksichtigen” – Nachgeforscht bei Thole Terhaag und Tanja Kruse von Be WIZZARD
Das Projekt Be WIZZARD erforscht gemeinsam mit Senior*innen, wie gute Pflege gelingen kann. Daraus sollen Handlungsempfehlungen für pflegepolitische Akteur*innen entwickelt werden. Wir haben mit Thole Terhaag (Kreisvolkshochschule Ammerland gGmbH) und Tanja Kruse (Universität Bremen) über Herausforderungen, ihre persönlichen Erfahrungen und die nächsten Schritte gesprochen.
Wie erklären Sie Interessierten, worum es in dem Projekt „Be WIZZARD – Ammerländer Bürger*innen forschen zur Pflege und Daseinsvorsorge“ geht?
Terhaag: Bei uns im Projekt geht es primär um den Bereich Pflege und die Zusammenarbeit mit Menschen, die die Pflegeversorgung in ihrer Region mitgestalten wollen. Es machen viele Bürgerforschende mit, die einen persönlichen Bezug zu dem Thema haben, die zum Beispiel eigene Angehörige pflegen oder selbst professionelle Pfleger*innen sind. Durch das Projekt möchten wir, auf Basis von wissenschaftlichen Methoden, aus einem neuen Blickwinkel an das Thema der Pflege und Versorgung in ländlichen Regionen, insbesondere im Ammerland, herangehen.
Warum ist dabei die Einbeziehung von Bürger*innen so wichtig?
Kruse: Für uns ist es wichtig, dass wir die Bürger*innen des Ammerlands in die Erforschung ihrer Pflege direkt einbeziehen. Es geht vordergründig darum, dass sie die Möglichkeit haben, ihre Gedanken und Wünsche zu äußern. Wo möchten sie hin? Und was ist ihnen wichtig vor Ort? Andererseits spielen sie in der Datenerhebung eine wichtige Rolle – denn nur gemeinsam können wir eine große Menge an Daten sammeln, zum Beispiel durch das Führen von Interviews. Wir sind derzeit dabei, diesen Bereich mit den Bürger*innen weiter aufzubauen. Primär geht es uns aber darum, dass sie in der Forschung zu Wort kommen.
Terhaag: Und da die Bürger*innen bereits sehr früh im Projekt mitentscheiden konnten, haben wir eine relativ hohe Partizipation der Mitforschenden. Das ist wichtig, denn es sind sie, die die Region und ihre Strukturen am besten kennen und etwas verändern wollen. Daraus entstehen meist spannende und bunte Diskussionen und die Bürger*innen kommen auch gerne wieder.
Kruse: Ja, das stimmt. Außerdem bringen die Teilnehmenden dann wiederum neue Interessierte mit. Das ist ein großer Vorteil der Bürgerwissenschaft!
Benötigen Bürger*innen bestimmtes Vorwissen, um mitzumachen? Was kann man in Ihrem Projekt dazulernen?
Kruse: Bestimmtes Vorwissen brauchen sie nicht, denn die Bürger*innen lernen die Grundlagen des wissenschaftlichen Arbeitens im Rahmen des Projekts kennen. Dafür besuchen sie die Forschungswerkstatt, bei der wir ganz praktisch an unserem Gegenstand, also der Pflege im Ammerland, die wissenschaftlichen Methoden anwenden. Zuvor hatten wir zu einer Erzählwerkstatt eingeladen, in der es darum ging, auch die Bedürfnisse der Bürgerforschenden zu erheben. In der Forschungswerkstatt haben wir dann die qualitative Forschung und zwei Erhebungsmethoden betrachtet. Und so haben wir gemeinsam das Untersuchungsdesign zum Thema Pflege erarbeitet: Zum einen fanden Fokusgruppen statt und zum anderen wurden auf Wunsch der Bürgerforschenden leitfadengestützte Interviews durchgeführt.
Welchen Herausforderungen sind Sie in Ihrem Projekt begegnet?
Terhaag: Einerseits hat uns die Corona-Pandemie natürlich schlecht in die Karten gespielt, da wir keine Forschungswerkstatt in Person halten konnten. Die Vortragsreihen haben wir dann auch auf hybrid umgestellt, aber unsere Bürgerforschenden bevorzugen eher Präsenzveranstaltungen. Das klingt simpel, aber wir bieten auch Kaffee und Kuchen an und das lockert immer die ganze Atmosphäre auf. Außerdem hatten wir anfangs auch Schwierigkeiten mit der lokalen Presse, welche unsere Artikel zunächst nicht veröffentlichen wollte. Jetzt läuft es aber über eine andere Redaktion besser und das ist auch wichtig, da wir besonders ältere Menschen über dieses Medium erreichen.
Was passiert mit den Daten und wie werden die Ergebnisse des Projekts verwendet?
Kruse: Die Daten werden im nächsten Schritt in die quantitative Forschung einfließen. Die Idee ist, dass wir auf Grundlage der qualitativen Daten aus den Interviews und Fokusgruppen einen Fragebogen entwickeln. Mit der Umfrage wollen wir die Allgemeinbevölkerung möglichst repräsentativ abbilden. Wir sind sehr gespannt, was die verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu sagen haben bezüglich ihrer Wunschvorstellungen, Konzepte und Bedingungen für gute Pflege.
Was haben Sie persönlich über die Pflege im Ammerland gelernt? Gab es dabei spannende Erkenntnisse oder Überraschungen aus wissenschaftlicher Sicht?
Kruse: Was ich persönlich mitnehme sind die Strategien, die ältere oder älter werdende Menschen fürs Altern entwickeln und wie sie sich damit auseinandersetzen. Wie möchte man leben und weiter leben? Wir kommen in direkten Kontakt mit den Bürger*innen, hören ihnen zu und lernen sie kennen – diese Beziehungsarbeit ist für mich ein großer Gewinn.
Terhaag: Das empfinde ich auch so. Diese Beziehungen zu pflegen ist zwar aufwändig, aber ich mache das sehr gerne. Das kenne ich noch aus meinem vorherigen Berufsleben im Pflegebereich, bei dem es eine wichtige Komponente war, eine Beziehung mit den Menschen aufzubauen. Und in diesem Projekt ist es ebenso wichtig. Was mich aber auch überrascht hat, ist, wie wenig die Menschen tatsächlich über Pflege wissen. Das hat sich in den Fokusgruppen herauskristallisiert. Wenn eine Person pflegebedürftig wird, weiß sie oft gar nicht genau, welche Ansprüche sie hat Es gibt zwar Pflegestützpunkte für Senior*innen, die einen da unterstützen, aber selbst von diesen Anlaufstellen wissen die Menschen nichts.
Ein kurzer Ausblick: Was sind die nächsten Schritte? Sind weitere Treffen für dieses Jahr geplant?
Terhaag: Dieses Jahr haben wir gut durchgeplant. Die Termine für die nächsten Veranstaltungen stehen schon fest und ich hoffe, dass es weiter so gut läuft.
Kruse: Genau, wir treffen uns regelmäßig, jede zweite Woche im Monat. Im November und Dezember sind noch Forschungswerkstätten in Präsenz geplant und einige Vorträge. Im nächsten Jahr sollen die Forschungswerkstätten weiter laufen und wir steigen in die quantitative Forschung ein. Dann werden wir sehen, wie wir weiter vorgehen. Wir möchten die Wünsche der Bürger*innen berücksichtigen, wie zum Beispiel den großen Informationsbedarf, die Sensibilisierung für die Pflege oder auch für alternative Wohnformen, wie Senior*innen-WGs. Wir wollen mit dem Projekt erreichen, dass die Bürgerforschenden nicht nur Daten für die Forschung erheben, sondern auch für sich als Individuen einen Nutzen sehen und eine intrinsische Motivation entwickeln.