Wie wirkt eigentlich Citizen Science? - Was motiviert Citizen Scientists zur Mitarbeit in Projekten?
Bürger*innen und ihr vielfältiges Engagement sind essentiell für den Erfolg von Citizen-Science-Formaten. Citizen Scientists widmen einem Forschungsprojekt Zeit, bringen Wissen und Erfahrung ein und stellen teilweise eigene Ressourcen wie Smartphone und Internetzugang zur Verfügung. Was motiviert Citizen Scientists dazu? Durch welche Faktoren wird die Motivation beeinflusst? Und (wie) verändert sie sich im Verlauf des Projektes?
Hier geht es zur Übersichtsseite der Blogreihe!
Motivation hat eine besondere Rolle im Logikmodell (siehe dazu auch Blogbeitrag 1: Wirkungsmodelle und Ziele):
- Schon auf der Inputebene beeinflusst sie, ob Menschen sich überhaupt für eine Teilnahme am Citizen-Science-Projekt entscheiden.
- Während der Aktivitäten ist die Motivation ein wichtiger Faktor, der dazu beiträgt, ob Teilnehmende sich in einem Projekt langfristig engagieren und ob sie andere zum Mitmachen einladen oder nicht.
- Zudem kann die Projektteilnahme sich im Sinne eines positiven Projektoutcomes auf die Motivation der Teilnehmenden auswirken und somit ihr aktuelles und zukünftiges Engagement beeinflussen.
Um einen Überblick über bestehende Forschungsarbeiten und ihre Ergebnisse zum Thema Motivation von Citizen Scientists zu bekommen, betrachten wir in diesem Beitrag unserer Blogreihe die Literaturereview “Recruiting and Retaining Participants in Citizen Science: What Can Be Learned from the Volunteering Literature?” von Sarah West und Rachel Pateman (2016).
Das Vorgehen
Die Autor*innen vom Stockholm Environment Institute an der University of York nähern sich dem Konzept der Motivation mithilfe einer Betrachtung von Theorien und Einzelstudien, die sich aus Ermangelung an Forschungsarbeiten konkret zu Bürgerforschung hauptsächlich aus der Literatur zur Freiwilligenarbeit zusammensetzt - und hier besonders in Umwelt- und Monitoringprojekten. Die wissenschaftlichen Beiträge ihrer Analyse stellten sie zusammen mithilfe einer Web of Science-Suche zu den Begriffen “volunteer”, “environmental monitoring”, “motivations” und “citizen science”. Zudem erweiterten sie diese Auswahl um Texte und Reports zu Best-Practice-Beispielen aus der Freiwilligenarbeit im Umweltbereich, die sie anhand einer Internetrecherche zu den Suchbegriffen “volunteer policy”, “volunteer recruitment”, “volunteer experience” oder “volunteer evaluation” fanden.
Die Review orientiert sich dabei an dem von Louis A. Penner (2002) entwickelten Modell der Projektteilnahme in drei zeitlichen Stadien: die Entscheidung zur Teilnahme, der Teilnahmebeginn und die anhaltende Teilnahme. Da zwischen der Entscheidung zur Teilnahme und einer initialen Teilnahme häufig relativ wenig Zeit vergehe, fassen West und Pateman diese beiden Schritte zusammen und sammeln so, wie sich die Motivation zur initialen Teilnahme und zur kontinuierlichen Teilnahme begreifen lässt und welchen Einflussfaktoren sie unterliegt.
Was ist Motivation? Was motiviert Menschen zur initialen Teilnahme?
Um zu verstehen, was wen wie und in welchem Umfang motiviert, muss das Konzept der Motivation geklärt werden. West und Pateman beziehen sich hierbei auf Finkelstein (2009) sowie Clary und Snyder (1999) und fügen Ergänzungen an:
Finkelstein (2009) unterscheide so grundsätzlich zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation, wobei erstere sich aus einem inneren Interesse und einer inneren Suche nach Befriedigung ableite, und letztere sich hauptsächlich auf erwartete Ergebnisse und Vorteile beziehe.
Clary und Snyder (1999) unterschieden hingegen verschiedene Motivationshintergründe (bzw. Funktionen, die durch Aktionen erfüllt werden sollen):
- die Motivation zu verstehen und zu lernen
- die wertbasierte/altruistische Motivation
- die soziale Motivation (zum Vernetzen oder für die Anerkennung)
- die Motivation für eine (Selbst-)Verbesserung
- die Motivation zum Schutz oder der Abwendung negativer Gefühle
- die Karrieremotivation
West und Pateman finden in ihrem Review heraus, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Motivation der Freiwilligen höchst unterschiedlich sind und sich keine generellen Aussagen treffen lassen: Einige fänden alle Motivationshintergründe (Van den Berg et al. 2009), andere machten eher altruistische (Raddick et al. 2013), umweltbezogene (u.a. Johnson et al. 2014 und Jacobson et al. 2012) oder wertbasierte (Hobbs und White 2012) und wiederum andere hauptsächlich lern- oder karrierebezogene Motivationshintergründe (Asah et al. 2014) als ausschlaggebend für ein Engagement aus.
Gründe für diese Unterschiede in den Ergebnissen sehen West und Pateman hauptsächlich in der verschiedenen Verwendung von Theorien und Konzepten, aber auch in einer großen Heterogenität sowohl an Teilnehmer*innen als auch an Motiven.
So hätten Menschen:
- prinzipiell eine breite Varianz von Motivationen (Asah et al. 2014)
- individuell unterschiedliche Motivationen zur Teilnahme an bestimmten Projekten (Clary und Snyder 1999)
- häufig mehrere Motive gleichzeitig (Clary und Snyder 1999, Bell et al. 2008, Asah et al. 2014)
- und verschiedene Motivationen zu verschiedenen Zeitpunkten oder Lebensstationen (Ryan et al. 2001)
Folgt aus einer Motivation immer auch ein Engagement?
Engagieren sich alle Menschen, die motiviert sind? Was trägt dazu bei, dass aus der Motivation eine Teilnahme folgt? Aus Sicht von Penner (2002) wird Engagement beeinflusst von einer Kombination aus dispositionalen Variablen und organisationale Variablen: Dispositionale Variablen beschreiben Eigenschaften des*der Teilnehmenden wie
- Persönlichkeitsmerkmale
- Glaubens- und Wertesätze
- und demographische Merkmale wie Einkommen und Bildung oder das Alter.
Daneben bezögen sich organisationale Variablen auf die Organisation und Durchführung der Projekte und ihren Einfluss auf die Teilnahme.
West und Bateman tragen zunächst Studien zu möglichen Faktoren zusammen, die eine Teilnahme an einem Projekt erschweren:
- Zeit: Zeit entpuppe sich als einer der wichtigsten Faktoren, der eine Teilnahme an einem Projekt ermöglicht oder unmöglich macht (Unell und Castle 2012; O’Brien et al. 2010).
- Unterrepräsentation marginalisierter Gruppen: Verschiedene marginalisierte Gruppen seien in verschiedenen Themengebieten unterrepräsentiert, was auch negative Folgen auf die Gruppen als solches haben kann, da sie nicht von den Vorteilen des Engagements profitieren können (Ockeden 2007, OPENspace 2003). Zu diesen Gruppen gehörten beispielsweise Menschen mit geringem Einkommen (Hobbs und White 2012), Menschen mit Behinderung(en) (Ockeden 2008) und Menschen marginalisierter ethnischer Hintergründe und Erfahrungen (Ockeden 2007, 2008). Diese Unterrepräsentation könne verschiedene Gründe haben: finanzielle Hürden (Hobbs and White 2012), Vorurteile über die Voraussetzungen zum Engagement (Ockeden 2008) oder fehlende Peer-Repräsentation (OPENspace 2003).
Neben Penner (2012) führen West und Pateman drei Einflussfaktoren auf die Teilnahme nach Hobbs und White (2012) auf, nach denen das Bewusstsein über die Teilnahmemöglichkeit und die Angemessenheit der Möglichkeit neben die Motivation zur Teilnahme treten. Daraus abgeleitet, wird Projektinitiator*innen empfohlen, nicht nur potentielle Teilnehmer*innen zu motivieren und für das Projekt zu werben (z.B. Van den Berg et al. 2009, Grese et al. 2000), sondern auch gezielt über den Rahmen und den Umfang der Teilnahme zu unterrichten (O’Brien et al. 2010) und verschiedene Wege für die Akquise von Teilnehmenden - besonders im Hinblick auf Diversität - zu nutzen (z.B. Unell & Castle 2012, Ockeden 2008).
Was beeinflusst die anhaltende Motivation zur Teilnahme an einem Projekt?
Wenn Menschen sich zur Teilnahme an einem Projekt entschieden haben, bleiben sie dann automatisch dabei? Warum oder warum nicht?
Hier kommen West und Pateman zufolge Penners Gedanken zu dem Einfluss organisationaler Faktoren auf die Motivation zurück ins Spiel. Denn schlechte Organisation und das Gefühl fehlender Wertschätzung seien Schlüsselargumente für die Nichtfortführung des Engagements (Ryan et al. 2001, Locke et al. 2003). Umgekehrt vergrößerten gute Organisation, klare Leitung und Erwartungen und bedeutsame Aufgaben die Motivation dabeizubleiben (Jacobsen et al. 2012). Zudem habe die Arbeitszufriedenheit nachweislich Auswirkungen auf die Absicht weiter am Projekt teilzunehmen (Wu et al 2015).
Die Motivation zum fortgeführten Engagement in Projekten ist West und Pateman zufolge zwar weniger gut untersucht, dennoch lassen sich folgende, praxisrelevante Effekte beschreiben:
- Wenn Teilnehmer*innen das Gefühl haben, dass ihre Erwartungen an die Teilnahme an einem Projekt erfüllt wird, blieben sie mit einer höheren Wahrscheinlichkeit dabei (Peachey et al. 2014).
- Werden Erwartungen der Teilnehmenden an das Team oder die Rolle der Teilnehmer*innen nicht erfüllt, führe das zu höheren Abbrecherquoten (Measham and Barnett 2007).
- Junge Menschen, die sich aus sozialen Gründen engagieren, investierten mit einer höheren Wahrscheinlichkeit mehr Zeit als Menschen, die aus Lerngründen an einem Projekt teilnehmen (McDougle et al. 2011).
- Motive änderten sich über längere Zeiträume: Ryan et al. (2001) fanden heraus, dass bei neuen Teilnehmer*innen an Umweltprojekten der Wunsch die Umwelt zu unterstützen und neue Dinge zu lernen hoch war, Teilnehmer*innen mit längerer Erfahrung im Projekt wurden hingegen mehr durch soziale Faktoren motiviert.
- Dabei hätten einige Studien auch darauf verwiesen, dass die Motivationen zur Teilnahme prinzipiell andere sein können, als die von den Projektinitiator*innen angenommenen (Grimm und Needham 2012, West 2015, Bushway et al. 2011).
Der Einfluss persönlicher Attribute auf die anhaltende Teilnahme an Projekten ist West und Pateman zufolge bisher nicht eindeutig bewiesen. Sie führen allerdings eine Reihe an praktischen Tipps an, mit denen Teilnehmende in Projekten bei der Stange gehalten werden können. Hierzu zählen beidseitiges Feedback (Singh et al. 2014, Unell and Castle 2012), Austausch unter den Teilnehmenden (z.B. Locke et al. 2003) oder ausführliche und inklusive Kommunikation (z.B. Van den Berg et al. 2009, Bell et al. 2008).
Aktuelle Entwicklungen
Um Forschende bei der Erfassung von Motivation zu unterstützen, werden entsprechende Instrumente entwickelt, überprüft und können dann auch projektübergreifend für Vergleichsstudien eingesetzt werden.
Weil Motivation ein so vielschichtiges Konzept ist, hat Liot Levontin zusammen mit anderen Kolleg*innen (2018) anhand einer Analyse der Literatur einen Fragebogen entwickelt, der die Hintergründe und die Motivation von Citizen Scientists erfasst. Dieser umfasst insgesamt 58 Items, die sich auf 18 verschiedene Typen von Motivation beziehen (z.B. Selbststeuerung, Routine, Reputation und Zugehörigkeit).
Unsere Kollegin Nicola Moczek hat einen Fragebogen mit Items zur Messung motivationaler Funktionen entwickelt (2019). Dieses Instrument, genannt MORFEN-CS, ist in Deutsch und Englisch verfügbar und wurde an konkreten Citizen-Science-Projekten validiert. In einer aktuellen Studie wird der MORFEN-CS-Fragebogen noch durch eine anschließende Gruppendiskussion der Teilnehmenden ergänzt, um so bestimmte Aspekte vertieft zu untersuchen (Moczek, Nuss & Köhler, 2021).
Johanna Amalia Robinson und Kolleg*innen (2021) sammeln aus dem Forschungsstand zur Motivation von Teilnehmer*innen in Citizen-Science-Projekten die wichtigsten Instrumente, Strategien und Kniffe, um Citizen Scientists langfristig erfolgreich in der Forschung zu halten und ihre Erwartungen optimal zu erfüllen.
Zudem existiert inzwischen eine ganze Reihe an Einzelstudien über die Motivation zum Engagement in Citizen Science. Hier eine kleine Auswahl für alle, die weiter in die Materie einsteigen wollen:
- Jennett und Kolleg*innen (2016) haben Teilnehmende in Online-Citizen-Science-Projekten interviewt und ein Modell zum Verständnis vom Zusammenhang von Motivation, Lernen und Kreativität entwickelt.
- Zudem haben Jeanmougin und Kolleg*innen (2017) eine Datenbank mit quantitativen Studien zur Motivation im Citizen-Science-Kontext erstellt und erste Auswertungen angestellt.
- Asingizwe und Kolleg*innen (2020) untersuchten qualitativ verschiedene Einflussfaktoren auf die Motivation zur initialen und kontinuierlichen Teilnahme an einem Malariakontrollprojekt in Ruanda.
- Für die Gruppe der 40-60-jährigen Museumsbesucher schauten sich Kam, Haklay & Lorke (2021) an, welche motivationalen Ansatzpunkte es gibt, diese zur Teilnahme an Citizen Science zu bewegen (mehr dazu in unserem Forschungsrückblick März 2021).
Im nächsten Blogbeitrag schauen wir uns die Wirkung von Citizen Science in Bezug auf ein bestimmtes Thema - Biodiversität - an.
Literatur:
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- Asingizwe, D., Poortvliet, P.M., Koenraadt, C.J.M., van Vliet, A.J.H., Ingabire, C.M., Mutesa, L., und Leeuwis, C. (2020). Why (not) participate in citizen science? Motivational factors and barriers to participate in a citizen science programme for malaria control in Rwanda. PLoSONE 15(8): e0237396. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0237396
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- Bushway, L.J., Dickinson, J.L., Stedman, R.C., Wagenet, L.P. und Weinstein, D.A. (2011). Benefits, motivations, and barriers related to environmental volunteerism for older adults: Developing a research agenda. The International Journal of Aging and Human Development 72(3): 189–206, DOI: https://doi.org/10.2190/AG.72.3.b
- Clary, E.G. und Snyder, M. (1999). The motivations to volunteer: Theoretical and practical considerations. Current Directions in Psychological Science 8(5): 156–159, DOI: https://doi.org/10.1111/1467-8721.00037
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