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Reflexionen über Vielfalt und Diversität – Eindrücke vom Forum Citizen Science 2023

Lisa Kamphaus (l.) und Natividad Abaga Ayecaba (r.) beim Forum Citizen Science 2023. Foto: Nina Nolte

In dieser Reihe teilen Tagungsteilnehmende ihre persönlichen Eindrücke vom Forum Citizen Science 2023 in Freiburg. Im vierten Beitrag reflektieren Natividad Abaga Ayecaba und Lisa Kamphaus vom Projekt Community Forschung Berg Fidel über die Diversität und Einbindung der Teilnehmenden der Konferenz.


Hier geht es zur Übersichtsseite der Blogreihe!


von Natividad Abaga Ayecaba und Lisa Kamphaus

Vom 29. bis 30. November 2023 versammelten sich Wissenschaftler*innen und Expert*innen zum Forum Citizen Science in Freiburg. Unter dem Leitmotiv „Mit Vielfalt Wissen schaffen" bot die Konferenz eine Plattform für intensiven Austausch über Bürger*innenwissenschaften und sollte der Vielfalt der dabei involvierten Akteur*innen Raum geben. Durch kritische Betrachtung des Konferenztitels „Mit Vielfalt Wissen schaffen“ und vor dem Hintergrund unserer Präsentation und Teilnahme an der Session „Vielfalt kennenlernen: Innovative und kreative Ansätze in Citizen Science“ reflektieren wir in diesem Beitrag die Einbindung von Bürger*innen im Zuge der Konferenz und die „Vielfalt“ des Forums.

Unsere jeweilige Positionalität (Rose 1997; Haraway 1988; 2016), unsere persönlichen Hintergründe und (Forschungs-)Interessen, rücken für uns bestimmte Aspekte des Forums mehr in den Blick als andere, weshalb wir unsere Positionalität hier transparent machen: Wir, Nati und Lisa arbeiten gemeinsam in einem kollaborativen Community (Forschungs-)Projekt. Nati ist Bürgerin in einem stigmatisierten und als depriviert und marginalisiert bezeichneten Stadtteil in Münster, in dem unser Projekt stattfindet. Als Community Forscherin (siehe Exkurs zur Community Forschung) ist Nati von Beginn an in die Entwicklung und Durchführung des Projektes eingebunden. Zusammen mit Lisa, die wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Münster ist, arbeiten sie eng im Projektteam auf Augenhöhe zusammen. In diesem Tandem wurde auch gemeinsam der folgende Text formuliert.

Ein zentraler Aspekt, der uns deswegen während der Veranstaltung beschäftigte, war, welche Akteur*innen eine maßgebliche Rolle in der Gestaltung und im Programm der Konferenz einnahmen. Es wurde uns schnell deutlich, dass die Präsentationen von gemeinsamen, bürger*innenwissenschafltichen Projekten von Wissenschaftler*innen dominiert wurden. Unserem Eindruck nach wurde viel über Bürger*innen und die von und mit Bürger*innen erhobenen Daten gesprochen, aber ihre tatsächliche Beteiligung und Repräsentanz im Forum Citizen Science blieb marginal.


Was ist „Community Forschung“?



Dieser kollaborative, communitybezogene Forschungsansatz, entwickelt von Prof. Dr. Christiane Falge von der Hochschule für Gesundheit, Bochum, erarbeitet ein gemeinsames Forschungsdesign von Akademiker*innen und Mitgliedern einer Community und vermittelt und erprobt in einer lokalitätsbezogenen, machtkritischen Arbeitsweise, die Methoden der qualitativen Datenerhebung an Menschen aus der Community (Falge und Betscher 2022). Dadurch werden Menschen, die direkt aus der lokalen Community stammen, selbst befähigt, Daten zu erheben und Wissen zu sammeln und sind so direkt an der Wissensgenerierung beteiligt. Durch einen direkten und gleichrangigen Zugang zu Menschen aus ihrer Community, können die Community Forscher*innen qualitativ wertvolle Daten erheben und auch Menschen einbeziehen, die in klassischen Partizipationsverfahren zumeist nicht erreicht werden. In ihrer Arbeit werden sie eng von Wissenschaftler*innen begleitet, die ein vertrauensvolles Verhältnis auf Augenhöhe pflegen. Die Community wird hierbei nicht nur erforscht, sondern das Ziel ist eine gemeinsame Verbesserung der lokalen Situation vor Ort nach den Bedürfnissen der Community (Israel 2013; Hochschule für Gesundheit Bochum 2022).


Die Frage, wie und für wen Formate wie das Forum Citizen Science gestaltet werden, ist von entscheidender Bedeutung. Werden Bürger*innen beteiligt und zu solchen Formaten eingeladen oder sogar in die Konzeption eingebunden? Oder verbleibt die Präsentation gemeinsam erhobener Daten in einer wissenschaftlichen Blase? Wie divers und vielfältig können entsprechend solche Konferenzen sein? Es ist ironisch, dass in einem Treffen mit dem Titel „Mit Vielfalt Wissen schaffen" die Vorstellung der Projekte und Themen selbst zwar divers waren, die Teilnehmenden der Konferenz und vor allem die Präsentierenden jedoch, zumindest in unserem Blick von außen, wenig divers waren: Die Anwesenden waren zu größten Teilen weiß, akademisch geprägt und mittelalt. Aus unserer Perspektive ist es für eine Diskussion um Citizen Science zentral zu reflektieren, wer tatsächlich partizipieren kann, welche Stimmen repräsentiert sind und welche marginalisiert werden. Dies gilt nicht nur für die Beteiligung in Forschungsprojekten, sondern vor allem auch für die Präsentation der Ergebnisse und die Diskussion dieser in Formaten wie dem Forum Citizen Science.

Um solche Veranstaltungen auf Augenhöhe, vielfältiger und inklusiver zu gestalten, könnten andere Konferenzen als Vorbild dienen. Der Kongress Armut und Gesundheit ist ein Beispiel, bei dem Menschen mit Armutserfahrung in die Planung der Konferenz einbezogen wurden. Angewandt auf das Forum Citizen Science könnte die Einbindung von Bürger*innen in die Planung des Forum Citizen Science umfassendere und diversere Perspektive ermöglichen, die auch in den Diskussionen und Präsentationen zum Ausdruck kommen könnte.

Citizen-Science-Forschung steht bereits für eine Öffnung der Wissenschaft in die Zivilgesellschaft. Insgesamt sollte während Veranstaltungen wie dem Forum Citizen Science aber nicht nur über Bürger*innen gesprochen werden, sondern mit ihnen. Eine echte Zusammenarbeit erfordert die aktive Beteiligung aller Akteur*innen im gesamten (Forschungs-) Prozess, also auch bei der Präsentation und Diskussion von Ergebnissen, um die Potenziale von Citizen Science voll auszuschöpfen und eine wahrhaft inklusive Forschungsgemeinschaft zu schaffen.

 

Über die Gastautor*innen

Natividad Abaga Ayecaba ist Community Forscherin im Projekt „Community Forschung Berg Fidel“ und Ansprechperson für Menschen aus dem Stadtteil Berg Fidel.

Lisa Kamphaus ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geographie der Universität Münster und Teil des Projektteams „Community Forschung Berg Fidel“.

Kontaktadresse: lisa.kamphaus@uni-muenster.de

 

Literatur

Falge, Christiane / Betscher, Silke (2022): Community Health als postmigrantische Perspektive auf Migration und Gesundheit. In: Hochschule für Gesundheit Bochum (Hg.), Community Health: Grundlagen, Methoden, Praxis. Weinheim Basel: Beltz Juventa.

Haraway, Donna J. (1988): Situated Knowledges: The Science Question in Feminism and the Privilege of Partial Perspective. In: Feminist Studies 14/3, 575–599.

Hochschule für Gesundheit Bochum (Hg.) (2022): Community Health: Grundlagen, Methoden, Praxis. 1. Auflage. Weinheim Basel: Beltz Juventa.

Israel, Barbara A. (Hg.) (2013): Methods for community-based participatory research for health. 2nd ed. San Francisco, CA: Jossey-Bass.

Rose, Gillian (1997): Situating knowledges: positionality, reflexivities and other tactics. In: Progress in Human Geography 21/3, 305–320.

Gastautor*in(nen)

Auf dem Blog von mit:forschen! laden wir Gastautor*innen ein über ihre Perspektive auf Citizen Science und jeweilige Themenschwerpunkte zu berichten. Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.