„Wir wollen gegenseitiges Lernen ermöglichen” – Nachgeforscht bei Soraya Kaiser und Moritz Langer von UndercoverEisAgenten
Bei UndercoverEisAgenten kommen junge Bürgerwissenschaftler*innen dem Permafrosttauen in der Arktis auf die Spur. Wir haben mit Soraya Kaiser und Moritz Langer vom Alfred-Wegener-Institut über Beteiligungsformate und die Zusammenarbeit mit Schüler*innen gesprochen.
Was genau ist Permafrost eigentlich? Und warum ist es so problematisch, wenn Permafrost taut?
Langer: Permafrost ist, einfach ausgedrückt, gefrorener Boden. Der Boden muss mindestens zwei Jahre gefroren sein, also Temperaturen von unter null Grad haben, um unter die Definition von Permafrost zu fallen. Der Permafrost in der Arktis, den wir untersuchen, bildete sich in der letzten Eiszeit und ist mehrere Jahrtausende alt. Durch das Auftauen des Permafrosts verändert sich das gesamte arktische Ökosystem – Vegetation, Hydrologie, also der Wasserhaushalt, und die Lebenswelt der Tiere – in einer rasanten und schwer vorhersehbaren Art und Weise. In den Permafrostböden ist in Form von Pflanzenresten sehr viel Kohlenstoff gespeichert. Wenn die Böden tauen, werden Mikroben aktiv, die diesen Kohlenstoff abbauen. Dabei werden die Treibhausgase CO2 und Methan freigesetzt, die die Klimaerwärmung weiter beschleunigen. Wir gehen davon aus, dass das Permafrosttauen zu einer Erwärmung von 0,1 bis 0,2 Grad Celsius beitragen könnte. Das hört sich vielleicht nicht viel an, aber wenn wir an das 1,5-Grad-Ziel denken, spielt das wirklich eine große Rolle. Außerdem sind natürlich die Menschen, die in der Arktis leben, direkt von dem Tauen betroffen, denn sie leben und arbeiten auf dem Boden. Die Gebäude und Infrastrukturen, die auf dem Permafrost errichtet wurden, sind davon abhängig, dass der Boden stabil bleibt. Da dort mit der stark einsetzenden Industrialisierung auch Rohstoffe abgebaut werden, bedroht das Permafrosttauen nicht nur traditionelle Lebensweisen, sondern kann auch zu weiteren Umweltproblemen führen, wenn entsprechende Infrastruktur beschädigt wird.
Was möchtet ihr mit UndercoverEisAgenten herausfinden? Und wozu kann eure Forschung in diesem Problemkontext beitragen?
Kaiser: Wir wollen unter anderem herausfinden, wo Permafrost degradiert, also taut, in welchem Ausmaß und wie schnell. Es gibt bereits verschiedene Modellierungsansätze und an manchen Stellen kann man das schon ganz gut abschätzen, aber eben noch nicht überall.
Langer: Mit unseren Forschungsergebnissen können wir das Permafrosttauen nicht aufhalten. Das können wir nur global, indem wir aufhören, weiter Treibhausgase in die Atmosphäre zu pusten. Es kann aber natürlich helfen, frühzeitig Veränderungen im Permafrost zu erkennen, um vor allem in den lokalen Siedlungsbereichen zu warnen und Vorkehrungen treffen zu können.
Mit welcher Methode untersucht ihr das Permafrosttauen?
Kaiser: Eine erprobte Methode zur Untersuchung von Permafrost ist es, sich Fernerkundungsdaten anzuschauen, also Satellitendaten oder Daten von Flugzeugen. In den letzten Jahren werden zunehmend auch Bilder von Drohnen verwendet, da diese eine höhere Auflösung haben als Satellitenbilder. Bei UndercoverEisAgenten greifen wir auf diese im Vergleich sehr günstige Technologie zurück. Die teilnehmenden Schüler*innen in der Arktis machen hochaufgelöste Drohnenaufnahmen, mit denen wir bereits sehr kleine Veränderungen (im Bereich < 1m) früh erkennen können. So gewinnen wir ein besseres Verständnis darüber, wo und in welchem Ausmaß Veränderungen im Permafrost auftreten. Die Bilddaten wollen wir zusammen mit Bürgerwissenschaftler*innen in Deutschland und weltweit klassifizieren. Eine Idee ist es außerdem, basierend auf der Klassifizierung der Bilder durch die Citizen Scientists, einen Trainingsdatensatz für eine KI zu erstellen, um diese Prozesse zukünftig zu automatisieren.
Welche Zielgruppen forschen bei UndercoverEisAgenten mit?
Langer: Zum einen wollen wir mit den Schüler*innen vor Ort in der Arktis arbeiten. Sie sind unmittelbar von den Veränderungen der Landschaft betroffen und wissen oft besser als wir, wo diese stattfinden und vor allem welche Veränderungen für sie relevant sind. Dieses Wissen eröffnet für uns ganz neue Perspektiven, denn wir haben nur ein-, vielleicht zweimal im Jahr die Möglichkeit, selbst zum Untersuchungsstandort zu fahren. Zum anderen wollen wir auch Schüler*innen in Deutschland einbinden, insbesondere in die Auswertung der aufgenommenen Bilddaten.
Warum habt ihr gerade Schüler*innen als Zielgruppe ausgewählt?
Kaiser: Wir wollen mit UndercoverEisAgenten das Bewusstsein für den Klimawandel und die Folgen des Permafrosttauens schärfen. Das können wir mit dem Projekt sehr anschaulich machen. Eine Komponente von UndercoverEisAgenten ist es daher auch, einen Austausch zwischen den Schüler*innen in Kanada und in Deutschland zu schaffen, damit die Teilnehmenden die jeweils anderen Lebensrealitäten kennenlernen können.
Langer: Wir haben uns natürlich auch überlegt, wen wir mit Drohnen, der Arktis und dem Einsatz für den Klimawandel besonders begeistern und motivieren können. Da lag die Zielgruppe der Schüler*innen für uns nahe.
Im September war ein Projektteam von UndercoverEisAgenten in Aklavik in den Nordwest-Territorien in Kanada, um mit den Schüler*innen aus der dortigen Gemeinde zu forschen. Wie habt ihr die Zusammenarbeit mit den Schüler*innen vor Ort erlebt?
Kaiser: Es war sehr schön. Wir durften sieben Schultage frei gestalten. Die ersten beiden Tage haben wir damit verbracht, allgemein über Wissenschaft zu sprechen. Unser Gedanke war, den Kindern Werkzeuge an die Hand zu geben, damit sie passend zu den anstehenden Befliegungen auch die wissenschaftlichen Fragestellungen selbst formulieren können. Die Schüler*innen hatten zwar großes Interesse daran, aber noch keine konkrete Idee, also haben wir auf Plan B zurückgegriffen und von uns mitgebrachte Fragen vorgeschlagen. Eigentlich wollten wir auch die Untersuchungsgebiete für die Befliegungen gemeinsam mit den Kindern definieren. Da das leider nicht funktioniert hat, haben wir die lokale erwachsene Bevölkerung einbezogen und gefragt, in welchen Gegenden für sie besonders relevante Veränderungen zu beobachten sind. Die festgelegten Gebiete haben die Schüler*innen dann bereits nach einem eintägigen Training selbstständig mit den Drohnen beflogen. Das hat wirklich sehr gut geklappt und die Schüler*innen leisten damit einen sehr großen Beitrag zum Projekt. Im Frühjahr, wenn der Schnee geschmolzen ist, werden die Schüler*innen die Gebiete dann erneut selbst mit den Drohnen befliegen. Die Arbeit mit den Schüler*innen war total schön und man hat einfach gemerkt, da kommt wirklich was zurück in Form von Interesse und Begeisterung an diesem Thema, was uns sehr glücklich gemacht hat. Die Wertschätzung von den Kindern, aber auch von den Lehrer*innen und Eltern war auf jeden Fall ein Highlight.
Neben der Schule in Aklavik kooperiert ihr auch mit drei Schulen in Deutschland. Welche Aufgaben können die Schüler*innen hier, so weit von der Arktis entfernt, übernehmen?
Langer: Die Idee ist, und da haben wir jetzt erste Pilotversuche gemacht, dass wir in den Schulen eine Einführung geben über Permafrost und die Herausforderungen, die mit der Erwärmung der Arktis verbunden sind. Wir zeigen auch, wie man anhand von Luftbildaufnahmen erkennen kann, ob Permafrost taut. Dabei entstehen nämlich spezifische Strukturen, Polygonmuster, die immer deutlicher hervortreten, je mehr der Permafrost taut, und in denen schließlich Seen entstehen. Nach der Einführung bitten wir die Schüler*innen, die Luftbilder, die wir aus der Arktis mitgebracht haben, und zusätzliche Satellitenbilder einzuordnen. In einer App können sie markieren, wo sie Polygonstrukturen erkennen und diese Strukturen in einem weiteren Schritt auch nachfahren und damit digitalisieren. Diese Aufgaben versuchen wir so spannend wie möglich zu machen, zum Beispiel mit einem Ranking, in dem man gegen seine Klassenkamerad*innen antreten kann. Die Daten, die die Schüler*innen generieren, helfen uns dabei, unsere automatisierten Kartierungen zu bewerten und langfristig zu verbessern. Gerade sind wir noch dabei, Kleinigkeiten in der App basierend auf dem Feedback der Schüler*innen und Lehrer*innen anzupassen und mehr interaktive Elemente einzufügen. Wir hoffen, bis Mitte des Jahres dann voll mit den Schulen in Deutschland durchstarten zu können. Langfristig wollen wir auch Materialien bereitstellen, mit denen Lehrer*innen unser Citizen-Science-Projekt eigenständig in ihren Unterricht einbauen können.
Warum war es euch wichtig, die Schüler*innen nicht nur in die Erhebung, sondern auch in die Auswertung der Daten einzubeziehen?
Langer: Wir wollen die Schüler*innen nicht nur als „Datenlieferanten” behandeln, sondern gegenseitiges Lernen ermöglichen. Deshalb ist es uns wichtig zu zeigen, was mit den Drohnenaufnahmen passiert. Am besten funktioniert das natürlich, indem man die Schüler*innen auch direkt in die Auswertung einbindet und so zeigt, was wir eigentlich in der Klima- und Arktisforschung machen. Diese Zusammenarbeit und Kommunikation mit den Menschen gerade vor Ort in Aklavik ist entscheidend, wenn wir weiter intensiv mit ihnen zusammenarbeiten wollen.
Welche Schritte und Meilensteine stehen als nächstes bei euch an? Worauf freut ihr euch besonders?
Kaiser: Wir wollen jetzt die Arbeit mit den Schulen hier in Deutschland konkretisieren und intensivieren. Dabei liegt uns auch am Herzen, dass ein Austausch zwischen den Schüler*innen in Aklavik und Deutschland zustande kommt. Ein erster Ansatz war, dass die Schüler*innen in Aklavik Postkarten geschrieben haben, die wir hier in die Schulen mitnehmen wollen. Auch eine Videokonferenz ist denkbar, wenn die Zeitverschiebung es zulässt. Auf diesen persönlichen Austausch zwischen den Schüler*innen freue ich mich sehr. Unsere App sollte im Frühjahr dann soweit sein, dass wir sie einem größeren Kreis zur Verfügung stellen können. Und dann steht noch unsere zweite Expedition in diesem Jahr an. Ich glaube, es könnte für die Schüler*innen in Aklavik eine zusätzliche Motivation sein, zu sehen, was mit den Daten passiert ist, und die Aufnahmen aus diesem Jahr mit denen aus dem letzten Jahr vergleichen zu können.
Langer: Ich persönlich freue mich darauf, mit den erhobenen Daten und der App dann zum ersten Mal raus aus der Entwicklungsphase und in die Anwendungsphase zu kommen. Am Anfang testet man ja immer erstmal aus. Jetzt haben wir festgestellt, dass alles ganz gut funktioniert und wir an vielen Stellen Begeisterung erzeugen. Der nächste Schritt ist, unser Vorgehen in einem größeren Maßstab anzuwenden und wissenschaftliche Daten zu generieren.
Das Citizen-Science-Projekt UndercoverEisAgenten wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.