Kaleidoskop der Vielfalt bürgerwissenschaftlicher Praktiken - Eindrücke vom Forum Citizen Science 2023
In dieser Reihe teilen Tagungsteilnehmende ihre persönlichen Eindrücke vom Forum Citizen Science 2023 in Freiburg. Im zweiten Beitrag berichtet Rahaf Farag, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Programmbereich Dokumentationszentrum der deutschen Sprache am IDS Mannheim, von spannenden Diskussionsrunden, projektübergreifenden Gemeinsamkeiten und der Vielfalt der Projektausrichtungen.
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von Dr. Rahaf Farag
Es ist Donnerstagabend. Freiburg erstrahlt in winterlichem Glanz. Schneeregen prasselt auf die Fensterscheiben. Mein Zug fährt ab. Ich bin auf der Heimfahrt nach Mannheim. Zeit zur inneren Einkehr, um das Forum Citizen Science 2023 Revue passieren zu lassen.
Das IDS-Team des Projektes „Die Sprach-Checker – So sprechen wir in der Neckarstadt“ erhielt die freundliche Einladung, als eines der drei Siegerprojekte der ersten Runde des bundesweiten Wettbewerbs Auf die Plätze! Citizen Science in deiner Stadt (2022–2023) am Forum Citizen Science 2023 an der Universität Freiburg teilzunehmen. Welch eine schöne Gelegenheit, um auf ein aufregendes Projektjahr zurückzublicken!
Das Forum regte zur Reflexion der verschiedenen Projektphasen sowie des eigenen Handelns an und schuf dabei abwechslungsreiche Möglichkeiten für gemeinsame Erlebnisse. „Auf die Plätze, fertig, Bingo!“, so lautete das Motto der Auftaktveranstaltung am Mittwochmorgen im Rektorat. Um 9:00 Uhr fand ein gemütliches Get Together bei Kaffee und Gebäck für die Preisträger*innen der ersten und zweiten Wettbewerbsrunde statt, eine Sonderveranstaltung mit einer spielerischen Note zum Austauschen und Kennenlernen. Ein Bingo-Spiel bot einen ungezwungenen Rahmen für den Austausch über methodische Gemeinsamkeiten, Herausforderungen und den Erkenntnisgewinn in Citizen-Science-Projekten. Diese Art von Eigendynamik, aus der so viel mehr als ursprünglich gedacht entstehen kann, versinnbildlicht rückblickend auch die nötige Flexibilität, Offenheit und Spielfreude von Citizen Science.
„Mit Vielfalt Wissen schaffen“, so hieß der Leitsatz des Forums. Vor diesem Hintergrund wurden in den Sessions vielfältige Fragen aufgeworfen und diskutiert: Wie sieht Vielfalt in Citizen-Science-Projekten aus? Inwiefern kann Vielfalt wissensgenerierende Prozesse befördern? Ist sie per se ein Erfolgsfaktor? Welche Mehrwerte bieten ein Methodenmix und diverse Bürgerwissenschaftler*innen? Wo könnten Stolperfallen lauern und wie lassen sie sich gemeinsam überwinden? Wie viel Vielfalt ermöglicht beziehungsweise verhindert Teilhabe? Wie lässt sich eine Expert*innen-Datenbank für Citizen Science gestalten? Diese Fragen und viele mehr waren Gegenstand unserer Diskussionen. Sie konnten in den Diskussionsrunden noch nicht vollumfänglich beantwortet werden und lassen sich teilweise auch nicht absolut klären. Dafür gab es aber viele Denkanstöße und Anregungen sowie Einblicke in persönliche Lernprozesse. Diese Fragen dien(t)en eher dazu, eigene Handlungen regelmäßig zu hinterfragen und etablierte Konzepte unter die Lupe zu nehmen, wie den Begriff von Citizen Science selbst. Bereits der Einstieg von Moritz Müller von Bürger schaffen Wissen lud dazu ein, „spezifische Lösungen für spezifische Projekte“ zu entwickeln.
Prof. Dr. Katrin Heer (Universität Freiburg) sprach sich dafür aus, „eine Brücke zwischen der akademischen Welt und dem lebendigen Mosaik unserer Gesellschaft“ zu schlagen. Denn Citizen Science, so Prof. Dr. Johanna Pink (Universität Freiburg), zielt schließlich darauf ab, andere Fragen und somit andere Antworten zu finden sowie das Undenkbare doch zu denken und die in einer vernetzten, globalen Welt schlummernden Potenziale auszuschöpfen. „Was verstehen wir unter Vielfalt in Citizen-Science-Projekten?“. Diese, gleich zum Auftakt, plädierte Öffnung erlaubt unterschiedliche Lesarten. Allerdings nahm ich aus Beiträgen und persönlichen Diskussionen mit, dass sich einige Teilnehmer*innen mehr begriffliche Klarheit wünschen. Gründe dafür seien unter anderem mehr Sicherheit bei der Verwendung gewisser Begriffe (im Sinne einer analytischen Eindeutigkeit oder für einen zielführenden Austausch), was sich wiederum auf die Prozessplanung auswirkt. Dieser Wunsch, der lange Zeit als Credo der Forschung diente, wird in der Citizen-Science-Gemeinschaft lauter, besonders aufgrund der vielfältigen Praktiken und Beteiligten und wohl auch der englischen Terminologie als Referenz.
Ein möglicher Ansatz zur Erfassung verschiedener Auffassungen auf dem Weg zu einem mehrheitlich geteilten Verständnis von einem Konzept wäre die Kartierung von Begriffen mit Cognitive Affective Maps, wie von Michael Gorki, Julius Fenn und Dennis Schuldzinski in ihrem Workshop vorgeschlagen. „Doch was macht etwas zu einem Konzept?“, fragte Julia Binder (Universität Münster). In den Pausen diskutierten einige Teilnehmer*innen und ich weitere Fragen, zum Beispiel „Was ist der Unterschied zwischen Citizen Science und Community Science?“, „Wer gilt noch als Citizen Scientist bzw. wen möchten wir noch als Citizen Scientist anerkennen?“, „Wem möchten wir uns öffnen und wie?“, „Wo enden die Grenzen zivilgesellschaftlichen Engagements?“, „Was ist für wen Wissenschaft?“, „Müsste man den pädagogischen und den wissenschaftlichen Mehrwert der Bürger*innenbeteiligung gegeneinander abwägen oder wäre eine Prozessorientierung nicht erfüllender?“.
Dass die Veranstaltungen in verschiedenen Räumlichkeiten stattfanden, die quer durch die Stadt verteilt waren, ließ uns unsere Diskussionen im Freien und mit Anderen fortsetzen, umgeben von einer beeindruckenden Szenerie, wie von regionalen Pinseln gemalt. Gespräche, Poster & Punsch, World-Cafés, Workshops – die verschiedenen Formate haben gezeigt, dass wir, Beteiligte an Citizen-Science-Projekten, häufig mit ähnlichen Herausforderungen ringen, dass diese jedoch oft ihre regionalen beziehungsweise projektbezogenen Spezifika haben. Die Bedeutung der lokalen Einbindung von Bevölkerung zur Erhebung von Forschungsdaten wurde ferner bei der zum ersten Mal vergebenen Auszeichnung Wissen der Vielen – Forschungspreis für Citizen Science deutlich.
Uns als Sprachwissenschaftlerinnen ist in den vielen Begegnungen bewusst geworden, welche Rolle Sprache für andere Projekte (z. B. im Hinblick auf Vielfalt, Verständlichkeit und Teilhabe) spielen kann. Bereichernd war zudem die mannigfaltige Ausrichtung der verschiedenen Projekte (von Crowdsourcing bis zur Einbeziehung einer Kleingruppe mit intensiverem Austausch), die alle ihre Tragweite haben. Alle Anregungen nehmen wir für die Fortführung der Sprach-Checker und den Auf- und Ausbau bürgerwissenschaftlicher Forschung am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache mit, die im entstehenden Forum Deutsche Sprache eine feste Verankerung finden wird. Die lebhafte Stimmung vom Forum Citizen Science 2023, das ein buntes Kaleidoskop aus Berichten, Erfahrungen, Gefühlen, aber auch von Gemeinsamkeiten und Unterschieden, entfaltete, wirkt noch nach und ich freue mich auf das nächste Wiedersehen.
Über die Gastautorin
Rahaf Farag ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Programmbereich Dokumentationszentrum der deutschen Sprache am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim. Zuvor forschte und lehrte sie am Arbeitsbereich Interkulturelle Kommunikation des Fachbereichs Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in Germersheim, wo sie auch promoviert wurde. Seit 2022 begleitet sie das Sprach-Checker-Projekt und weitere wissenschaftskommunikative sowie bürgerwissenschaftliche Veranstaltungen zu Mehrsprachigkeit und sprachlicher Vielfalt. Derzeit beschäftigt sich im Projekt Spracherhebung und -dokumentation mit der Entwicklung von Erhebungs- und Vermittlungsformaten für das gegenwärtig entstehende Forum Deutsche Sprache.