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Fragen für die Zukunft der Citizen Science: „Das hat mein Leben zum Positiven verändert”

Foto: Drmakete / Pexels

Uli Fouquet ist Aktivist bei Digitalcourage und Citizen Scientist im Projekt Gemeinsam Gesellschaft erforschen (GINGER). Im Interview berichtet er vom sozialwissenschaftlichen Arbeiten bei Data Sprints, Erfahrungen mit der Citizen-Science-Community und neuen Erkenntnissen. 

Wie bist du auf das Projekt GINGER aufmerksam geworden und wie lange bist du schon dabei?

Uli: Ich bin schon länger ehrenamtlich bei Digitalcourage in der Ortsgruppe Braunschweig aktiv. Das ist ein gemeinnütziger Verein, der sich für digitale Grundrechte einsetzt. Im März 2023 wurden wir auf einen Data Sprint von GINGER in der Nähe von Braunschweig aufmerksam gemacht. Wir sind mit ein paar Leuten aus der Ortsgruppe dort hingefahren und haben die Arbeitsweise kennengelernt. Das war mein erster bewusster Kontakt mit Citizen Science. Es war neu für mich, dass man so bei wissenschaftlichen Projekten mitmachen kann. Das Thema von GINGER – also gesellschaftlicher Zusammenhalt – war mir auch vorher persönlich schon sehr wichtig. Mich interessiert, wie gesellschaftlicher Zusammenhalt entsteht, welche Kräfte dagegen arbeiten und welche Rolle soziale Medien dabei spielen. Das zu verstehen ist ein ganz zentraler Punkt für mich, um dann auch mit anderen Leuten gemeinsam was unternehmen zu können, um die Gesellschaft zu verbessern, auch wenn das vielleicht etwas pathetisch klingt. Nach dem ersten Data Sprint, an dem wir teilgenommen haben, haben wir als Digitalcourage dann selbst einen Sprint im Rahmen von GINGER in Braunschweig organisiert.

Hattest du vor GINGER schon Erfahrungen mit sozialwissenschaftlicher Forschung? 

Uli: Bis dahin hatte ich kaum Erfahrung mit sozialwissenschaftlicher Forschung. Ich habe mal zwei Semester Philosophie studiert. Das ist zwar schon ewig her, war aber glaube ich nicht ganz irrelevant. Ich hatte zum Beispiel vorher schonmal wissenschaftliche Aufsätze gelesen, für andere war das komplett neu. Im Projekt war alles sehr niedrigschwellig gestaltet, sodass alle teilhaben konnten. Die haben sich da richtig Gedanken gemacht und wir wurden immer super betreut.

Was sind deine Aufgaben im Projekt GINGER?

Uli: Das ist schwer zu sagen. Bei GINGER gibt es, anders als bei vielen anderen Projekten, keine festen Aufgaben. GINGER bietet einen Rahmen für das, was uns interessiert. Alle bringen sich mit eigenen Ideen ein und entwickeln eigene Forschungsfragen. Ich finde, GINGER hat da einen sehr integrativen, kooperativen und fairen Ansatz entwickelt. Wir werden von den Wissenschaftler*innen unterstützt und lernen, wie man Forschungsdaten sammelt und analysiert. Das hat es mir ermöglicht, ganz viele tolle Dinge herauszufinden und zu erfahren, die meinen Kenntnisbereich erweitert haben und wirklich einen Impact für mich persönlich, aber eben auch für das Projekt hatten.

Mit welchen Fragen hast du dich bei GINGER beschäftigt?

Uli: Im Laufe der Sprints haben wir uns mit verschiedenen Forschungsfragen beschäftigt. Im ersten Sprint ging es beispielsweise um die politische Diskussion um die Klimaaktivist*innen der „Letzten Generation” auf Twitter. Welche Erzählungen gab es, wie war das Framing, wie wurde das Thema von Politiker*innen auf Twitter verhandelt und wie haben Medien da mitreingespielt? Beim zweiten Sprint haben wir versucht zu analysieren, warum das Thema Chatkontrolle [Anm. d. Redaktion: Pläne der EU-Kommission, Kommunikationsdienste zur Durchleuchtung der Kommunikation ihrer Nutzer*innen zu verpflichten] kaum mediale Spuren hinterlassen hat und warum so wenige davon überhaupt mitbekommen haben. Dafür haben wir gezählt, wie viele Meldungen es zu dem Thema gab und aus welchen Richtungen die kamen. Wir arbeiten auch noch an einem kleinen Paper dazu. Ein weiteres Thema, das wir gerade vorbereiten, sind Kommunikationsstrukturen rechter Gruppen auf Telegram. 

Habt ihr die Daten, mit denen ihr eure Fragestellungen untersucht habt, auch selbst erhoben und ausgewertet?

Uli: Ja, das kann man so sagen. Die Hinweise und Tools, die wir bekommen haben, haben uns dabei natürlich sehr unterstützt. Ein zentrales Tool war eine Suchmaschine von EPINetz für die politische Twitter-Kommunikation in Deutschland. Wir haben gelernt, was solche Tools bei der Datenerhebung leisten können, wie man Daten verarbeitet und einschätzt und, dass man sie erstmal bearbeiten muss, bevor man etwas daraus ableiten kann. Inzwischen versuchen wir, selbst solche Tools zu bauen, die wir dann hoffentlich auch zurückgeben können. Seit letztem Sommer haben wir bei der Erhebung und Durchsuchung von Twitter-Daten leider echt ein Problem. Der neue Eigentümer, Elon Musk, hat dafür gesorgt, dass die Wissenschaft kaum noch an die Daten rankommt. Wenn relevante Daten über gesellschaftliche Diskussionen unter die Kontrolle großer Konzerne fallen, die den wissenschaftlichen Zugriff darauf verweigern, halte ich das für ein großes gesellschaftliches Problem. Die EU hat das inzwischen immerhin teilweise erkannt.

Du hast für GINGER gemeinsam mit einer der beteiligten Wissenschaftlerinnen, Julia Gantenberg, einen Kurzvortrag bei einer Fachkonferenz, dem Forum Citizen Science, gehalten. Wie war es für dich bei der Konferenz?

Uli: Ich fand das ganz, ganz toll. Es hat mir richtig Spaß gemacht und die Community war sehr integrativ und herzlich. Ich hatte schon Respekt davor, dass dort fast nur professionelle Wissenschaftler*innen sprechen würden, aber ich wurde wirklich gut aufgenommen. Und ich hatte auch nicht das Gefühl, dass die wissenschaftliche Qualität der Konferenz darunter gelitten hätte. Ich habe mich sehr gefreut, dass ich diese Möglichkeit von GINGER bekommen habe und viele andere Projekte kennenlernen konnte. Das hat meinen Horizont nochmal erweitert und mir ein gutes Gefühl für die Community gegeben. Ich hoffe, dass Citizen Science noch bekannter wird und mehr Förderung und Anerkennung bekommt. Das hätte der Ansatz echt verdient.

Es gibt ja viele Arten, sich ehrenamtlich zu engagieren. Wieso hast du dich für Citizen Science und GINGER entschieden? Was macht dir so Spaß am wissenschaftlichen Arbeiten?

Uli: Eigentlich ist es verwunderlich, dass ich noch nicht früher darauf gestoßen bin. Das spricht genau mein persönliches und aktivistisches Interesse an, denn ich will nicht nur am Stammtisch oder in den sozialen Medien lamentieren. Ich bin aus dem Computerbereich, programmiere gerne und versuche, das mit politischem Aktivismus zu verbinden. Im wissenschaftlichen Herangehen habe ich ein unglaublich hilfreiches und erfüllendes Verbindungsglied zwischen diesen beiden Polen, Technik und Politik, gefunden. Es macht mir nicht nur Spaß, sondern sorgt auch für mehr Nachhaltigkeit in unserer Arbeit. Mit handfesten Daten können wir ganz anders argumentieren. Das ist super befriedigend.

Wie lässt sich dein Engagement bei GINGER in deinen Alltag integrieren?

Uli: Das war bislang kein Problem. Die Data-Sprints haben immer am Wochenende stattgefunden, dazu kommt dann noch die Vor- und Nachbereitung. Viele Leute schnuppern auch nur so mal rein und investieren weniger Zeit, dafür sind die Sprints ja auch konzipiert. Mit der zweiten Fragestellung zur Chatkontrolle waren wir schon ein paar Arbeitswochen beschäftigt. Obwohl wir alle einen vollen Kalender hatten, haben wir es gut hinbekommen.

Was ist dir von GINGER besonders in Erinnerung geblieben?

Uli: Die Erfahrung, wissenschaftlich zu arbeiten, war für mich das Wichtigste. Das kann eine ungeheure Kraft entwickeln, solche Erfahrungen zu machen, auch für eigene Projekte. Ich hoffe, dass auch andere Menschen erkennen, wie wichtig eine wissenschaftliche Grundlage für die eigene Arbeit sein kann und das für sich nutzen können. Eine tolle Erkenntnis für mich waren die Ergebnisse zur Diskussion um die Chatkontrolle. Wir haben uns zwar vorher schon gedacht, dass es da wenig Tweets et cetera gab, aber jetzt wissen wir es auch wirklich. Ich habe jetzt eine andere Art und Weise, Fragen zu stellen. Das hat mein Leben zum Positiven verändert.


Dieser Beitrag ist Teil unserer Jubiläums-Blogreihe „Fragen für die Zukunft der Citizen Science". Hier geht es zur Übersicht der Blogreihe.

Fabienne Wehrle

Fabienne ist Projektmanagerin und Online-Redakteurin. Sie betreut die Plattform, kümmert sich um die Social-Media-Kanäle und ist für die Kommunikation rund um mit:forschen! Gemeinsam Wissen schaffen zuständig.