Erste Citizen-Science-Professur in Deutschland
Seit Ende März 2020 ist Dr. Christian Thiel an der Universität Jena Professor für Citizen Science. Dies ist die erste Professur für Citizen Science in Deutschland und damit ein bedeutender Schritt auf dem Weg zur Etablierung von Citizen Science im akademischen System. Wir haben ihn gefragt, wie es dazu kam und wie man als Professor Citizen Science in Lehre und Forschung an der Uni einbringt.
Herzlichen Glückwunsch, Christian! Du bist nun also der erste Professor für Citizen Science in Deutschland. Erzähl doch mal, wie Du zu Deiner Professur gekommen bist.
Der Hintergrund ist zweierlei. Ich habe natürlich eine akademische Karriere, die auch schon ein bisschen zurückreicht und erfülle dementsprechend auch die Voraussetzungen, die für eine außerplanmäßige (apl.) Professur angelegt werden, was die wissenschaftlichen Leistungen angeht, also Publikationen, Drittmittel und Lehre. Ich hatte tatsächlich auch einen regulären Ruf an die Universität in Würzburg. Der Ruf war dann eine sehr gute Grundlage um in die Verhandlung für eine Beantragung einer apl. Professur einzusteigen. Die spezielle Ausrichtung auf Citizen Science kommt daher, dass ich mich am Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt hier in Jena am Institut für Datenwissenschaften in der Abteilung Citizen Science seit über zwei Jahren ausschließlich mit der Thematik beschäftige. Vorher am Lehrstuhl für Fernerkundung in Jena wurden allerdings die Grundlagen dafür geschaffen. Und so kam es dann, dass ich mit dem Institut für Geografie in Jena ins Gespräch gekommen bin, weil wir das alle für eine sehr, sehr gute Ergänzung dort im Portfolio gehalten haben. Dieser Link zwischen der reinen Forschungsseite also Science zu Citizen Science am Institut für Datenwissenschaften und die Umsetzung in Lehre und Forschung an der Universität bietet ein immenses Potential. Einerseits transferieren wir Wissen zwischen den beiden Institutionen und andererseits stärken wir so auch den Austausch im Bereich Personal.
Kannst du kurz erklären, was der Unterschied zwischen einer außerplanmäßigen Professur und einer "traditionellen" Professur, wie man sie so kennt, ist?
Eine sogenannte apl. Professor unterscheidet sich aus rein rechtlicher Sicht gar nicht von planmäßigen Professuren. Apl bedeutet ja einfach nur außerplanmäßig. Das heißt, dass es keine Professorenplanstelle an der Universität ist, sondern man behält seine bisherige Anstellung. Der Titel kann an Privatdozenten verliehen werden, die sich über viele Jahre und Forschung und Lehre bewährt haben, also Kriterien eines regulären Berufungsverfahren erfüllen. In meinem Fall ist es gewissermaßen besonders, da ich von einer außeruniversitären Institution komme, aber an der Universität Jena habilitiert bin. In meinem Fall ist es nun so, dass die Professur am Institut für Geografie der Universität Jena angesiedelt ist und meine Anstellung im Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt, so entsteht ein starker Link zwischen diesen beiden Institutionen. Das ist eine Besonderheit. Das ist nicht unbedingt typisch für eine apl. Professur, ist aber wichtig, um dieses spezielle Konstrukt zu verstehen. Ansonsten ist man als apl. Professor genauso verpflichtet Lehre zu machen, allerdings in geringerem Umfang.
Gratulation zu diesem Erfolg! Wie bist Du denn zu Citizen Science gekommen?
An der Universität Jena ging es beim Projekt PhaenOpt um Phänologie und Meteorologie. Wir wissen ja, dass bestimmte Pflanzen in Abhängigkeit der meteorologischen Bedingungen in einem Jahr mal ein bisschen früher mit der Blüte beginnen. Der Deutsche Wetterdienst hat sich dann auf Spezies konzentriert, die sehr verbreitet sind und bei denen zudem auch die einzelnen Stadien sehr gut zu erkennen sind. Diese Spezies wurden dann von Citizen Scientists beobachtet, um anhand ihres Blütestadiums Rückschlüsse auf die meteorologischen Bedingungen der letzten Tage, Wochen und Monate zu ziehen. Und eben dieses Projekt PhaenOpt wurden von meinem Kollegen Jonas Eberle an der Universität Jena begleitet. Als gelernter Geograf mit entsprechenden Grundkenntnissen in der Meteorologie habe ich dann schon gemerkt, dass Citizen Science als Vehikel Wissen über die Wissenschaft in die Breite tragen kann. Eine supergute Möglichkeit auch, um die Bevölkerung an dem Prozess des Wissensschaffens zu beteiligen. Solche Aspekte habe ich dann schon vor langer Zeit in meine Lehre eingebaut, allerdings zunächst nicht unter dem Label Citizen Science.
Insofern sehe ich diese beiden Hauptaspekte: einerseits mit der Zivilgesellschaft zusammen erforschen, das Wissen über die Forschung in diese Gesellschaft hineinbringen und die Glaubwürdigkeit der Forschung stärken. Andererseits werden durch solche Forschungsaktivitäten aber auch Erkenntnisse gewonnen, die ohne die Beiträge der Citizens nicht möglich wären.
Nun gibt es noch keinen “Citizen-Science”-Studiengang, wie genau bringst Du das Thema denn in die Lehre an der Universität Jena ein?
Mir ist jetzt auch kein Studiengang Citizen Science bekannt. Ich bringe aber seit zwei Jahren konkrete Citizen-Science-Aspekte in die Ausbildung zukünftiger Geografielehrer ein, die sich später im Schulalltag hervorragend umsetzen lassen. Dabei spreche ich einige theoretische Konzepte an, wie: Was ist Citizen Science überhaupt, was sind die Möglichkeiten? Wie ist Citizen Science in Deutschland organisiert? Welche Projekte gibt es schon, die sich beispielsweise auch in den Schulunterricht, aber auch natürlich universitäre Lehre integrieren lässt.
Zudem wurden auch tatsächlich praktische Projekte mit Studierenden, aber auch schon mit Schülern durchgeführt. Beispielsweise sind wir in den Wald gegangen und haben dort Vermessungskampagnen gestartet, haben neue Methoden, die bessere Orientierung im Wald ermöglichen, mittels Bluetooth-Sensorik entwickelt. Und wir konnten dadurch die Win-win-Situation erreichen: Wissen an die Teilnehmenden transferieren und gleichzeitig Daten generieren, die wiederum für unsere Forschung, im speziellen Fall für die Fragestellung der Biomassebestimmung des Walds oder der Bestimmung des Baustammvolumens, erforderlich sind.
Diese Lehrveranstaltungen sind Wahlpflichtveranstaltungen im zweiten Studienjahr und sind sehr, sehr gut besucht ist. Mit 100 Studierenden pro Jahr haben wir da eine ziemlich große Community, die dann schon mindestens einmal Kontakt bekommt mit Citizen Science und das dann hoffentlich auch in die Schulen trägt.
Außerdem bin ich gerade dabei, ein neues Modul zu konzipieren, in dem es dann im Masterstudium der Geoinformatikstudierenden darum gehen wird, Citizen-Science-Methoden besser kennenzulernen. Das ist dann eher ein methodisches Modul.
Wie ist da so das Feedback der Studierenden und der Kolleg*innen? Gibt es Widerstände und Kritik oder triffst Du eher auf Aufgeschlossenheit und Begeisterung?
Als es darum ging, die apl. Professur zu beantragen, bin ich mit der Professorenschaft in Kontakt getreten, hab da schon Diskussionen angestoßen und es war superschnell klar, dass da sehr, sehr positives Feedback geherrscht hat. Ich musste nur den Funken in den Zunderhaufen werfen und plötzlich haben da schon eigentlich alle gebrannt, haben Citizen Science als supergute Ergänzung gesehen, sowohl was die Lehre angeht als auch die Forschung. Und genau das Gleiche gilt jetzt auch, was die Erstellung neuer Module angeht. Es wäre schwierig komplett neue Module in die Studiengänge zu integrieren. Es ist administrativ viel einfacher bestehende Module “zu kapern”, also neu auszugestalten. Das geht aber nur mit den bisherigen Modulverantwortlichen zusammen. Da bin ich aber nur auf offene Ohren und sehr viel Interesse gestoßen. Das Feedback ist durchweg positiv, was mich so gefreut hat und was mich auch dazu bewogen hat, tatsächlich auch die reguläre Professur in Würzburg auszuschlagen und die apl. Professur in Jena anzugehen. Es gibt momentan nichts Vergleichbares, aber die Notwendigkeit ist schlicht und einfach da. Das macht Riesenspaß und ich gehe davon aus, dass die Bereicherung der Forschung und Lehre in Jena sehr bald Früchte tragen wird.
Aber gleichzeitig muss man eben auch sagen, dass Citizen Science für viele noch ein neues Thema ist. Den Studierenden ist das Thema oft kein Begriff und sie haben keine Idee, was Citizen Science eigentlich bedeutet, was das Potenzial ist, was dahintersteckt. Aber wenn das dann klar ist, habe ich schon gesehen, dass es bei den Studierenden zu einem großen Aha-Effekt kommt und sie sofort die Chance sehen, Citizen Science an die Schulen zu bringen. Das ist wunderbar zu sehen.
Lehre ist ja nur ein Teil einer Professur. Kannst du uns einen kleinen Einblick in deine aktuellen Forschungsaktivitäten rund um Citizen Science geben?
Ich habe vor dem Wechsel zum DLR im Bereich der Satellitenfernerkundung geforscht und da stellen wir immer wieder fest, dass wir Referenzdaten aus näherer Distanz brauchen. Hier kann Citizen Science eine große Rolle spielen. Beispielsweise führen wir derzeit zusammen mit dem Nationalpark Hainich ein Projekt durch, um das Potential genauer auszuloten. Das Gebiet des Nationalparks ist eines der wenigen, noch vorhandenen naturnahen, Buchen-dominierten Laubwaldgebiete in Mitteleuropa. Hier wird seit einigen Jahrzehnten an den Wäldern nichts mehr verändert, sondern ausschließlich beobachtet, wie sich diese Wälder jetzt ohne anthropogenen Einfluss entwickeln. Im Kooperationsprojekt möchten wir Methoden entwickeln, die auf Drohnendaten basieren, welche auch von Citizen Science gesammelt und ausgewertet werden können, um Veränderungen des Waldes zu kartieren. Findet ein natürlicher Waldverjüngungsprozess statt? Wie wirken sich Waldschäden durch die heißen Sommer der letzten Jahre aus? Der Nationalpark Hainich bietet sich auch sehr gut für eine Kooperation an, da er ja viele Besucher*innen hat und als Nationalpark auch einen Bildungsauftrag. Und somit auch ein großes Potenzial bietet, zukünftige Citizen Scientists zu begeistern.
Zudem arbeiten wir an der Analyse von Social-Media-Daten, da in diesen Nachrichten durchaus auch Informationen stecken können, die relevant sind für unterschiedlichste Fragestellungen. Da sei hier als Beispiel genannt, dass wir versuchen, Satellitendatensätze durch Informationen aus Textnachrichten (z.B. Twitter) anzureichern, was vor allem im Krisenfall (z.B. Erdbeben, Hochwasser) von immenser Bedeutung sein kann.
Wir hier am Institut für Datenwissenschaften in der Abteilung Bürgerwissenschaften haben zudem „Science zu Citizen Science“ in den Fokus genommen. Wie können wir Citizen Science stärken und auf fundiertere wissenschaftliche Wurzeln setzen? Uns geht es darum, schon bei der Datenerhebung darauf zu achten, dass wir eine gewisse Qualität und Maschinenlesbarkeit erreichen können, damit die Daten am Ende wirklich für Forschung genutzt werden können.
Außerdem werden psychologische Aspekte bei unseren Forschungen eine große Rolle spielen. Wie kommt es, dass manche Citizen-Science-Projekte so großen Zulauf finden? Wovon hängt der Erfolg von Citizen-Science-Projekten ab? Wie hängt das mit Motivation zusammen? Für welche Kategorie von Citizen Scientists wirken welche Anreiz- und Anerkennungsmaßnahmen am besten? Wir versuchen also beispielsweise Motivationsfragen und psychologische Hintergründe zusammenzubringen. Weiter beschäftigen wir uns damit, wie man den Wissenstransfer durch Citizen Science in der universitären Lehre und darüber hinaus möglichst effektiv gestalten kann.
Wir bei Bürger schaffen Wissen wünschen uns natürlich, dass Citizen Science besser und auch langfristig in Forschung und Lehre an Hochschulen verankert wird. Was wären Deiner Meinung nach den nächsten Schritten in diesem Prozess?
Wir müssen darlegen, welche positive Wirkung Citizen Science hat. Ich glaube, es ist wirklich wichtig, diesen Nachweis zu erbringen, dass bestimmte Forschungsprojekte ohne die Citizen-Science-Komponente nicht möglich gewesen wären und das muss publik gemacht werden. Gleichzeitig muss auch deutlich gemacht werden, dass Citizen Science im Ausbildungsbereich eine riesengroße Rolle spielen kann und muss, um die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft wieder zu stärken und der Wissenschafts- und in diesem Zusammenhang auch der Politikverdrossenheit entgegenzuwirken. Das sollte uns gelingen, allerdings brauchen wir auch hier relativ langen Atem. Das ist nicht mit einem Förderprogramm zu bewältigen, was sich über drei oder vier Jahre erstreckt, sondern hier brauchen wir gleich zwei, drei Dekaden, um wirklich sehen zu können, welche Effekte das Ganze bringt. Wir haben die Chance zu zeigen, dass Citizen Science einerseits in Wissenschaft und universitärer Ausbildung eine starke Rolle spielen kann. Im Idealfall führt dies zu einer Verstetigung von Citizen Science in der universitären Ausbildung, beispielsweise in die Lehrerausbildung. Dann müssen im nächsten Schritt die frisch ausgebildeten Lehrkräfte an die Schulen gehen, um Citizen Science wiederum weiter zu den jungen Köpfen der Republik zu tragen. Die Lehrpläne müssen diesem Ansatz Rechnung tragen und die Lehrer benötigen Unterstützung in Form geeigneter Lehrmaterialien und laufender Citizen-Science-Projekte. Nur so können sich wissenschaftliche Prinzipien als Fundament unserer Gesellschaft auf Dauer etablieren. Dieser Prozess braucht seine Zeit. Zwar haben wir schon viel gelernt, aber wir stehen trotzdem noch am Anfang einer spannenden Reise. Und natürlich sind wir sind auf die Unterstützung der Politik angewiesen, die uns entsprechende Förderprogramme zur Verfügung stellt, um weiter Forschung zu Citizen Science durchführen zu können, weitere Erkenntnisse zu generieren und auch noch stärker zu werden, was die Einbindung der Zivilgesellschaft in Forschung angeht.
Und zum Schluss, stell Dir vor, ich hätte eine Deiner Lehrveranstaltung besucht. Was wären dann die 3 Dinge, die ich über Citizen Science gelernt haben sollte?
- Jeder sollte nach der Belegung meiner Kurse wissen, dass es Citizen Science gibt, was Citizen Science ist und dass man sofort mit forschen kann. Es gibt in Deutschland über 200 Projekte, die aktuell laufen. Da wird jeder für sich ein gutes Thema finden, um sofort voller Interesse mitzumachen. Ich hoffe, dass dann auch die Studierenden dermaßen begeistert sind und ihren Mitkommilitonen, ihren Freunden, ihren Eltern und allen davon berichten und einige davon bewegt werden können, ebenso mitzumachen.
- Dann sollte man der Sache bewusst werden, dass viele wissenschaftlichen Erkenntnisse ohne Citizen Science überhaupt nicht möglich gewesen wären. Denken wir beispielsweise an das politisch sehr stark diskutierte Insektensterben in den letzten Jahren. Die Daten, die wir hier als Grundlage verwendet haben, basieren auf Citizen-Science-Projekten. Ohne diese Citizen-Science-Projekte, die auch selbst initiiert wurden, hätten wir diese Informationen über die Abnahme der Insekten-Biomasse nicht in diesem Detail.
- Möchte ich anbringen, dass Citizen Science eine exzellente Möglichkeit ist, Wissen zu vermitteln. Und diese Wissensvermittlung kann auf unterschiedlichsten Ebenen stattfinden. Wir können damit mit dem Vorschulalter beginnen, in der Schule Citizen Science zu integrieren ist ebenso möglich und natürlich in der universitären Lehre bietet sich das wunderbar an, Forschungsprojekte mit der Lehre zu koppeln, zu verlinken.
Christian, wir danken dir ganz herzlich für dieses Gespräch und wünschen Dir weiterhin viel Erfolg!